Für alle Bücherfrauen, die in Berlin nicht dabei sein konnten, gibt es hier einen Rückblick auf einen Kongress, der nicht zurück-, sondern mutig nach vorn blickte.
Neue Kapitel: Eindrücke vom Jubiläumskongress des Börsenvereins
© Mo Wüstenhagen
„Nicht die Vergangenheit feiern, sondern Zukunft ausloten!“
Mit diesen Worten eröffnete Karin Schmidt-Friderichs am 5. Juni 2025 den Jubiläumskongress des Börsenvereins in Berlin. Anstatt nostalgischer Rückblicke setzte sie in ihrer inspirierenden Rede ein klares Zeichen für Wandel und Aufbruch: „Wir feiern heute nicht die Geschichte. Wir feiern nicht den Börsenverein – wir feiern Sie!“ Die Branche stehe, so Schmidt-Friderichs, „an der Schwelle zu einer neuen Zeit“ und brauche jetzt Mut, Haltung und Visionen.
Vier neue Kapitel für eine Branche im Wandel
Der Kongress war um vier zentrale Themenstränge – „neue Kapitel“ – aufgebaut, die gemeinsam mit Mitgliedern und Expert*innen aufgeschlagen wurden.
1. Neue Positionen: In einer Zeit schwindender Meinungsfreiheit wächst die Verantwortung der Buchbranche. Es ging um eine klare Haltung gegen Desinformation, Hass und Polarisierung.
„Diese Branche spielt eine elementare gesellschaftliche Rolle!“
2. Neue Antriebe: Technologische Entwicklungen wie KI und digitale Tools standen im Fokus. Gefragt waren nicht Angst, sondern Zukunftsmut – und der Wille, mit neuen Kompetenzen aktiv zu gestalten.
3. Neue Gewohnheiten: Das Leseverhalten wandelt sich: analoge und digitale Communities, stille Lesetreffs und neue Formate entstehen. Leser*innen von heute ticken anders – und das eröffnet neue Chancen.
4. Neues Handeln: Nachhaltigkeit, Sichtbarkeit kleiner Buchhandlungen und die Nutzung von Backlist-Potenzialen erfordern allesamt entschlossenes Handeln. „Träume bleiben Träume, wenn wir ihnen nicht ein Stück entgegenkommen.“
„Die Geschichte des Börsenvereins ist voll von Cliffhangern“
Karin Schmidt-Friderichs hat die Herausforderungen der Branche in „offene Kapitel“ verwandelt: ungelöste Fragen, die Spannung erzeugen und Handlungsbedarf signalisieren.
- Wird KI gesetzlich gebändigt – oder bleibt das Urheberrecht auf der Strecke?
- Bleiben Innenstädte lebendig – oder sterben Buchhandlungen den leisen Tod?
- Kommt die Verlagsförderung rechtzeitig – oder zu spät?
- Wie gelingt Leseförderung in Zeiten sinkender Lesekompetenz?
Und wie bildet die Branche digitale Nachwuchskräfte aus?
„Man muss auch mit dem Besten rechnen.“
Mit diesen Worten beschrieb Schmidt-Friderichs die spontane Zusage von Robert Habeck als Keynote-Speaker – eine Geste mit Symbolkraft. Habeck richtete klare und motivierende Worte an die Branche: Trotz aller Krisen stehe sie besser da als viele andere. Gleichzeitig warnte er davor, dass staatliche Förderung möglicherweise mit unerwünschter Einflussnahme einhergehen könne: „Widerstehen Sie dem Wunsch, staatliche Förderung für Ihre Branche zu fordern.“ Er betonte besonders die Bedeutung von Literatur als Ort individueller Erfahrung im Gegensatz zur Vereinheitlichung durch KI.
Diversität aus der Nische holen
In ihrer Keynote forderte Hadija Haruna-Oelker eine neue Offenheit von Verlegern: „Holen Sie Diversität aus der Nische und machen Sie sie zur Markenstrategie.“ Sie stellte dem Publikum unbequeme Fragen: „Wird Vielfalt wirklich gewollt – oder bleibt sie Projektarbeit aus Angst vor Marktrisiken?“ Neue Narrative entstünden nur, wenn auch neue Stimmen sichtbar würden.
Mensch und Maschine als Team
In ihrer Keynote plädierte Miriam Meckel für Zusammenarbeit statt Angst: „CEOs werden sich ihre Führungsrolle mit KI teilen.“ KI sei keine menschliche Intelligenz, sondern leistungsfähige Rechenkraft – ein Werkzeug, das die Kreativität sogar steigern könne, wenn Mensch und Maschine sich sinnvoll ergänzen. Der Mensch bringe Intuition und Feingefühl, die KI Tempo und Skalierung.
Austausch, Begegnung, Inspiration
In Workshops und Panels wurden vertiefende Einblicke in alle Themen – von Diversität über KI bis zu neuen Geschäftsmodellen – ermöglicht. Gleichzeitig blieb viel Raum für Gespräche, neue Kontakte und gemeinsames Weiterdenken. Die Moderation von zwei der Gesprächsrunden übernahm Yvonne de Andrés, die mit ihrer fachlichen Erfahrung souverän durch die Diskussionen führte. Ein herzliches Dankeschön an den Börsenverein für die hervorragende Organisation und die inspirierende Atmosphäre.
Ausblick für die Bücherfrauen
„Neue Kapitel“ ist mehr als nur ein Motto, es ist ein Aufruf: Dranbleiben. Umblättern. Weiterlesen.
Die Zukunft der Branche wird gerade geschrieben – und das Gute daran ist: WIR – die Leserinnen, Verlegerinnen, Autorinnen, Bücherfrauen und Buchhändlerinnen – sind die Autor*innen.
Ein Bericht von Christina Schmitt und Yvonne de Andrés
