Text der Laudatio von Barbara Weidle zur Ehrung von Zoë Beck als BücherFrau des Jahres 2022
Liebe Zoë, liebe BücherFrauen, sehr geehrte Damen und Herren,
Vor ein paar Wochen bekam ich ein kleines Paket von Zoë zugesandt. Darin lagen drei praktische Reisverschlussmappen verschiedener Größe in Pink und Weiß mit fettem schwarzem Text.
Auf der kleinsten stand:
»The advantages of being a woman artist: [writer könnte man auch einfügen]
Working without the pressure of success.
Knowing your career might pick up after you're eighty.
Being included in revised versions of art history
Not having to undergo the embarrassment of being called a genius«.
»Ich konnte nicht widerstehen«, schrieb mir Zoë dazu.
Das Zitat stammt von den Gorilla Girls, einer anonymen feministischen Künstlerinnengruppe, die sich im New York der 1980er Jahre gründete, um mit Aktionen und Druckerzeugnissen auf die ungleiche Präsenz von Künstlerinnen und Künstlern im Kunstbetrieb aufmerksam zu machen.
Ich zitiere das hier aus mehreren Gründen: Zoë und ich hatten uns zuvor über mein Interesse an Kunst und Kreativität unterhalten, und so war es eine aufmerksame Geste, mich mit der Kunst bzw. den Künstlerinnen zu verknüpfen. Und dann: das feministische Statement aus dem späten 20. Jahrhunderts hat leider seine Aktualität nicht verloren, auch wenn manches besser geworden ist. Es schafft eine Verbindung zwischen uns, und es zeigt die wache feministische und politische Aktivistin, die Zoë Beck, neben vielem anderen, auch ist. Das äußert sie mit einem Schuss Sarkasmus und einem Lächeln.
Wir kennen uns jetzt schon seit zehn Jahren, was mir anlässlich der Vorbereitung dieser Laudatio überhaupt erst klar wurde. In der letzten Dekade konnte ich die kreative Energie von Zoë, mit der sie sich in eine Reihe von verschiedenen Aktivitäten begab, verfolgen und sie auch in unmittelbarer Zusammenarbeit erleben. Ihre überlegte Entwicklung zur Verlegerin konnte ich aus der Nähe beobachten, denn ein Jahr nach unserem Kennenlernen gründete sie 2013 mit Jan Karsten zusammen den Verlag CulturBooks.
Neben ihrer Tätigkeit als Autorin und Verlegerin ist sie Übersetzerin, Synchronregisseurin, stellvertretende Vorsitzende der Litprom, Mitgründerin des Aktionsbündnisses »#Verlage gegen Rechts«, Mitglied bei Herland, einem aktiven, kämpferischen Netzwerk von Frauen, die Kriminalliteratur schreiben. Wie sie das alles schafft, habe ich mich schon öfter gefragt. In einem Interview im Deutschlandfunk hat Zoë einmal gesagt, dass sie als Pianistin Disziplin gelernt habe.
Aus ihrem Depressionen-Buch weiß ich, dass es viele schlaflose Nächte gibt, in denen sie nachdenkt, schreibt und organisiert. Ihr Output ist gewaltig. Es gehört einiges dazu zu wissen, dass der nächste Thriller im Juni 2023 erscheint, Memoria heißt, es geht um eine Pianistin, die von seltsamen Erinnerungen geplagt wird, das Cover steht schon auf der Website des Suhrkamp Verlags, aber fertiggeschrieben werden muss er eben auch noch.
Wenn sich jemand hier fragen sollte, was eine BücherFrau ist: Das ist ein Frau, die beruflich viel mit Büchern zu tun hat – zum Beispiel als Buchhändlerin, Übersetzerin, Vertreterin, Verlegerin –, Feministin ist und netztwerkt. Zoë Beck verkörpert diesen Typus in potenzierer Form. Sie ist quasi mehrere BücherFrauen in einer Person. Uns hat, wie kann es anders sein, die Literatur zusammengeführt. 2012 war Neuseeland Gastland der Frankfurter Buchmesse. Wir veröffentlichten in unserem Verlag den Roman »Rocking Horse Road« von Carl Nixon. Stefan Weidle, mein Mitverleger und Mann, übersetzte ihn aus dem Englischen. Nixon erzählt eine berührende Geschichte über den Tod eines jungen Mädchens an einem Strand in Christchurch und die jahrelange Beschäftigung einer Gruppe von Jugendlichen mit diesem Fall, der letztlich nicht präzise geklärt wird. Mit diesem Roman landeten wir erstmals und völlig unerwartet auf der Krimi-Bestenliste und auch auf der Weltempfänger Bestenliste der Litprom. Alf Mayer besprach den Roman im culturmag.de, einem Online-Magazin, bei dem damals auch Zoë Beck und Jan Karsten engagiert waren, und ich vermute, so wurde Zoë auf uns aufmerksam und trat – zunächst über Social Media – in unser Verlegerleben. Der Kontakt intensivierte sich sehr schnell, und wir trafen uns persönlich. Dabei war ihr großes Interesse an Menschen und ihre Neugier auf unsere Arbeit auffallend. Sie wollte wirklich genau wissen, was wir verlegten. Fand auch unseren Exil-Schwerpunkt, mit dem wir in den 1990er Jahren begonnen hatten, besonders. So jedenfalls erinnere ich mich an die ersten Begegnungen.
Zoë hat eine sehr gute Sprechstimme, und bald schon kamen wir überein, dass sie, wenn wir das Buch vorstellen, den deutschen Text lesen würde. Zum Beispiel bei Veranstaltungen während der Frankfurter Buchmesse, aber auch in Hamburg. Mit einem Synchron-Profi zusammenzuarbeiten war und ist grandios. Netterweise machte Zoë das für uns umsonst. Das ist für einen kleinen, unabhängigen Verlag nicht ganz unwichtig. Wie ungewöhnlich. Wie außerordentlich großzügig.
Sie sprach übrigens gar nicht so viel von ihren eigenen Aktivitäten, die auch damals schon vielfältig waren, spielte ihre Tätigkeit als – sehr erfolgreiche – Autorin von Thrillern eher herunter. Dabei hatte sie schon zahlreiche Bücher, zumeist Kriminalromane, veröffentlicht. In den vergangenen Jahren hat sie viele Preise bekommen, darunter den Friedrich-Glauser-Preis, den Deutschen Krimipreis, den Politkrimi-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung, und sie war Stadtschreiberin in Tampere, Finnland.
In einem Interview, das Zoë 2010 mit der von ihr als Vorbild sehr geschätzten schottischen Krimiautorin Denise Mina für das Culturmag führte, unterhalten sich die beiden über den Status von KrimiAutorinnen, die in Deutschland gerne in so eine Schmuddelecke gestellt werden. Denise Mina formuliert da etwas sehr Treffendes: »Ich glaube, die meisten Leute denken wirklich so: Hohe Literatur liest man mit der Hand am Kinn und einem ernsten Gesicht. Um Krimis zu lesen, braucht man nur noch das halbe Hirn. Eigentlich muss der Blick nur ein wenig über die Seiten schweifen. Science-Fiction-Leser schaffen es gerade so, die Seiten in der richtigen Reihenfolge umzublättern. Wer Liebesromane liest, hat wahrscheinlich schon Schwierigkeiten, das Buch richtigherum zu halten.« Eine witzige und irgendwie auch wahre Beobachtung, doch nichts wäre falscher, als so zu denken. Auch die Thriller-Autorin Zoë Beck beweist das mit jedem ihrer klugen und unterhaltenden Bücher aufs Neue.
Ihre Magisterarbeit verfaßte die Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes in Literaturwissenschaften übrigens über die Kriminalschriftstellerin Elizabeth George. Danach arbeitete sie in München für Leo Kirch als TV-Producerin. Die Begegnung mit der Literaturagentin Lianne Kolf war dann sehr bedeutsam und folgenreich. Die ersten fünf Romane, die bei Heyne und Bastei Lübbe zwischen 2006 und 2011 erschienen, schrieb sie noch unter ihrem Geburtsnamen. Nach ihrer Krebserkrankung 2007 änderte sie ihren Namen in Zoë Beck. Zoë ist altgriechisch für Leben, und Beck ist ein englischer Ausdruck für ein fließendes Gewässer. Seit 2017 veröffentlicht sie ihre Romane im Suhrkamp Verlag. Ihre älteren Kriminalromane, sind teilweise dort neu aufgelegt worden, zum Beispiel Das alte Kind, eine unglaublich intensive Geschichte in Berlin und London über ein sechs Monate nach der Geburt vertauschtes Baby und eine junge Frau, der man nach dem Leben trachtet. »Beck macht aus zwei veritablen Albträumen einen eleganten Psychothriller mit einem besonderen Blick für zwangsneurotische Situationen«, zitiert der Verlag Deutschlandradio Kultur auf der Rückseite. Stimmt.
Brixton Hill war das erste Buch, noch bei Heyne erschienen, das ich von Zoë las. Der Thriller war bis dahin eigentlich nicht mein Genre, aber ich kaufte es mir, weil ich mich für ihre Arbeit interessierte. Die Geschichte um die Eventmanagerin Emma: »Stichwort Gentrifizierung, Stichwort Stalking, London, es ist eine London-Geschichte, eine Frau auf der Flucht, eine Frau wird gejagt« – so fasst Zoë das Buch in einem sehenswerten Trailer des Verlags zusammen. Sie schildert im Roman dazu sehr packend das Hacker-Milieu. Ich wurde bei der Lektüre so sehr hineingezogen, dass ich, als ich das Buch nicht zur Hand hatte, mir das e-book herunterlud, weil ich unbedingt wissen wollte, wie die Story weitergeht. Und war von da an angefixt von Zoës Thrillern, um gleich zum nächsten Titel überzuleiten:
Die Lieferantin erschien 2017 bei Suhrkamp. Inzwischen kannten wir uns so gut, dass Zoë mir das fertige Manuskript bereits vor der Veröffentlichung als PDF schickte. Was für ein Privileg! Natürlich tauchte ich in die Geschichte um Ellie Johnson ein, die in London ein absolut perfektes System des Drogenhandels aufgebaut hat, per App und Drohnen Stoff anonym und sicher ausliefert. Doch das ruft die organisierte Kriminalität auf den Plan, die diese neumodische Konkurrenz, noch dazu das Unternehmen einer Frau, nicht dulden will. In diesem ersten Post-Brexit-Roman, der in »London, vielleicht bald«, also in der nahen Zukunft spielt, geht es aber auch um gefährliche Rechtsextreme, die die Zivilgesellschaft aufs heftigste bedrohen. Es ist diese Verbindung von politischen Themen mit sehr gut beschriebener technischer Innovation und interessanten, immer weiblichen Hauptfiguren, die ihre Thriller so lesenswert macht. Immer lernt man wie nebenbei etwas über Technik, Naturwissenschaft, Medizin. In einem Gespräch mit Thomas Böhm erzählt Zoë, dass sie sehr viele Sachbücher lese, sehr genau recherchiere und viele Gespräche führe mit Fachleuten, mit Menschen, die sich im Thema auskennen, bevor sie ihre Geschichte schreibe. Und das merkt man bei der Lektüre.
Zum Beispiel in ihrem letzten Roman, Paradise City, einer Dystopie, die in Frankfurt in etwa 100 Jahren spielt. Es geht um eine Art Gesundheits- und Überwachungsdiktatur. Jeder Mensch wird mit Apps und Chips totalüberwacht. Solange er keine Kritik übt, geht es ihm gut. Eine unabhängige, kritische Berichterstattung wird als »Wahrheitspresse« diffamiert. Die Heldin Liina ist eine investigative Journalistin mit einem transplantierten Herzen, deren Gesundheit ständig überwacht wird. Jeder hat ein sogenanntes Smartcase, mit dem alle Dinge des Alltags verwaltet und erledigt werden. Um sich der Kontrolle zu entziehen, schaltet Liina den Videoblocker ein. Menschen, die sich außerhalb dieses Systems stellen, werden »die Parallelen« genannt und ihre Lebensform ist eigentlich verboten. Ich folgte dieser Heldin Liina auch beim zweiten Lesen mit großer Spannung und mochte die kluge Konstruktion des Romans immer noch genauso wie beim ersten, atemlosen Lesen des PDFs. Bei aller zeitlichen Distanz ist der Unterschied zum Heute eben gar nicht so riesig. Das macht ihn so unheimlich, so nah, die Atmosphäre so bedrohlich. Die Ursprungsidee, sich mit Fake News zu befassen und einer Gesellschaft, die »keine Lust hat, sich mit schlechten Nachrichten auseinanderzusetzen«, wie Zoë im Gespräch mit Thomas Böhm sagte, formte sich während des Schreibens zu einem Thriller über Gesundheitsüberwachung – das Manuskript war kurz vor Beginn der Corona-Pandemie 2020 abgeschlossen und dann irgendwie das Buch zur aktuellen Situation geworden. Hier war die Autorin dem Puls der Zeit geradezu unheimlich nah.
2021 kam ein Sachbuch von Zoë Beck im Reclamverlag heraus: »Depressionen«. Auch dieses ist ein sehr wichtiges Werk. Der Text ist von einer tiefen Humanität bestimmt und überzeugt in seiner Mischung aus dem Verständnis der Krankheit – aus eigener leidvoller Erfahrung – und der Vermittlung von Informationen und Hilfsangeboten. Es ist ein sanfter, aber bestimmter Ton, der da zu hören ist von einem Menschen, der versteht und zutiefst vertraut ist mit dieser Krankheit. Übrigens auch nachzuhören in einem in diesem Jahr produzierten sehr schönen Hörbuch, das Zoë selbst eingesprochen hat. Es ist ein Buch, das keineswegs nur für selbst Betroffene geschrieben ist, auch nicht nur für Menschen, deren Angehörige oder FreundInnen unter der Krankheit leiden – obwohl es zahlreiche sachliche Hinweise enthält. Vielmehr widmet sich dieser Text auch der Aufgabe, die von der Krankheit Betroffenen aus einer immer noch weit verbreiteten Stigmatisierung zu befreien. Und er macht die Krankheit für Menschen verständlich, die nicht davon betroffen sind. Es gehört sehr viel Mut dazu, diesen sehr persönlichen Beitrag zum Thema zu schreiben und sich als prominente Autorin zu outen. Das ist jedoch, wie Zoë im Buch sagt, für sie die einzig mögliche Strategie, um im beruflichen und privaten Leben zumindest ansatzweise verstanden zu werden. Und das ist sehr wichtig. Damit das Umfeld Verhalten und Bedürfnisse eines eben zeitweise depressiven Menschen einordnen kann. Es sind nur hundert Seiten, auch das ist Programm. Denn so ist die Schwelle, sich mit dem Thema zu befassen, niedriger. Natürlich ist das Buch sehr gut geschrieben. Die Autorin webt diesen schweren Stoff zu einem zarten Schultertuch der Zuversicht, ohne den Ernst der Krankheit zu verschweigen. Der Tenor des Buches, »es gibt Hilfe und Verständnis«, ist für Ratsuchende sicher immens hilfreich. Nach der Lektüre wünschte ich mir, ich hätte diesen Text schon vor 20 Jahren lesen können, als die Krankheit in meiner eigenen Familie auftrat. Das Buch zeigt eine empathische, altruistische Seite der Schriftstellerin, die ich auch im persönlichen Umgang oft beobachtet habe.
2020 hatte ich das große Vergnügen, mit Zoë gemeinsam den zweiten Roman von Sally Rooney, Normale Menschen, im Literaturhaus Köln vorzustellen. Zoë wurde die deutsche Stimme der jungen irischen Erfolgsautorin, übersetzte inzwischen drei ihrer Romane in ein der Generation angepasstes junges Deutsch, das sich wunderbar liest: »Zoë Beck trifft in ihrer deutschen Übersetzung dabei in jedem Kommunikationsmedium stilsicher den lässig unaufgeregten Ton des Originals.« (Miriam Zeh im Deutschlandfunk). 27 Romane hat sie bisher aus dem Englischen übersetzt, eine gewaltige Zahl, wenn man bedenkt, dass das nicht ihr Hauptberuf ist. Darunter ist auch die von ihr als Autorin hochgeschätzte Denise Mina, deren Kriminalromane bei Ariadne erscheinen, ebenfalls einem Mitglied des erwähnten Zusammenschlusses Herland.
Zoë Becks Rolle als Übersetzerin ist von der als Verlegerin nicht zu trennen. Auch für ihren eigenen Verlag übertr.gt sie viele Werke aus dem Englischen ins Deutsche, zum Beispiel von Amanda Lee Koe, Ling Ma, Pippa Goldschmidt. Aus einem digitalen Verlag, der ursprünglich nur E-Books publizierte, wurde 2015 ein Verlag auch für analoge Bücher. Das erste Buch war zum Gastland Indonesien auf der Frankfurter Buchmesse Ratih Kumalas Das Zigarettenmädchen.
In den letzten sieben Jahren hat sie diesen Verlag CulturBooks gemeinsam mit Jan Karsten zu einer festen Größe in der Landschaft der unabhängigen Verlage in Deutschland gemacht. Internationale Literatur, häufig aus dem Globalen Süden, ist ihr Schwerpunkt. Man darf wirklich gespannt sein, wie die Entwicklung dieses schlüssigen Verlagskonzepts weitergeht. Seit einigen Jahren teilen wir uns einen Stand auf der Buchmesse, eine sehr angenehme und inspirierende Nachbarschaft, die wir auch in diesem Jahr fortsetzen.
Bei der Jahrestagung der BücherFrauen im November 2021 war Zoë Keynote Speakerin zum Thema: »Sexismus in der Buchbranche.« Zu Beginn nannte sie, wie immer sehr sorgfältig recherchiert, eine Zahl des Rostocker Forschungsprojekts »Frauen Zählen#«, bei dem sie übrigens selbst mitarbeitete, und man kann sie gar nicht oft genug wiederholen:
80 % Frauen arbeiten in der Buchbranche, aber nur 20 % sind in Führungspositionen
- Mehr Männer werden im Hardcover veröffentlicht als Frauen
- Daraus ergibt sich: Mehr Männer werden von der Kritik besprochen
- Daraus ergibt sich: Mehr Männer bekommen Preise
Das sind unbequeme Tatsachen. Und damit, dass eine Frau sie veröffentlicht und verbreitet, macht sie sich nicht nur Freunde. Aber, es muss einfach sein. In diesem Impulsvortrag berichtete Zoë auch von eigenen Erfahrungen. Leider ist das Thema Sexismus in der Literaturbranche immer noch ein sehr wichtiges Thema. Und es könnte genauso gut auch Sexismus in der Kulturbranche heißen. Kürzlich sprach ich mit einer jungen Künstlerin, die mir von den Verhältnissen in der Kunstszene berichtete, die in der Öffentlichkeit bisher noch zu selten zur Sprache kommen. Das hat mich wirklich erschüttert, denn diese Szene dachte ich eigentlich ganz gut zu kennen. Dort war ich lange als Kritikerin unterwegs, deshalb wohl auch eher geschützt. Es ist immer das gleiche Prinzip: Macht, Popularität, Einfluss und Geld der Männer bestimmen sehr häufig den Ton des Umgangs und die Formen der Kommunikation. Da können Karrieren befördert oder zerstört werden, je nachdem, wie Frau sich verhält. Und schlimm ist, dass Männer, die das genau mitbekommen, aber unter Umständen eben auch wirtschaftlich abhängig von noch mächtigeren sind, dazu schweigen. Der Sexismus hat, wie Zoë damals sagte, »System«. Im konkreten Fall ging es um das »System (Julian) Reichelt«, und ich zitiere Zoë: »Das System Reichelt – und hier wäre der Nachname austauschbar mit so vielen anderen – lebt davon, dass weggeschaut wird, dass man sich weg duckt, dass man froh ist, wenn es eine nicht selbst trifft, dass andere nicht zuhören wollen, dass gesagt wird: Ach ja, der ist schon immer so.« Da ist in Zukunft noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Ich dachte bei meinem privaten Gespräch mit der jungen Künstlerin gleich an Zoë und ihre Aktivitäten. Denn für diese braucht es Unerschrockenheit und Mut. Dazu werden wir in Zukunft ganz sicher noch mehr von Zoë hören.
Global vernetzt oder Jede*r für sich? lautete das Motto der Litprom-Literaturtage im April 2021, die Zoë und ich gemeinsam kuratierten. Ein Projekt, an das ich mich sehr gerne erinnere. Es war in Zeiten der Pandemie, reisen durfte man in Deutschland nur mit einer Bestätigung, dass es beruflich notwendig war. Innerhalb sehr kurzer Zeit mussten das Programm und die Organisation für das Festival stehen, das wir leider Online realisieren mussten. Man hätte meinen können, dass das nun wegen des Zeitdrucks eine sehr stressige Angelegenheit gewesen wäre. Aber nein. Die digitale Ausführung gab uns sehr viel mehr Freiheit, Autor*innen einzuladen, die wir uns wünschten, denn sie mussten ja nicht reisen. Ich möchte allerdings das wunderbare Litprom-Team, Marcella Melien, Petra Kassler, Joscha Hekele und Lea Herlitz nicht unerwähnt lassen, das zur Stressfreiheit der Kuratorinnen erheblich beigetragen hat. In der Zusammenarbeit ergab sich die Aufgabenteilung ganz von selbst. Es gab fruchtbare Diskussionen mit Zoë, die immer die richtigen Fragen stellt und sehr strukturiert ist, und eine sehr entspannte Team-Arbeit, am Ende stand ein Programm u. A. mit der Kenianerin Yvonne Adhiambo Owuor, der Japanerin Mieko Kawakami, Intan Paramaditha aus Indonesien, Pilar Quintana, Kolumbien, Samanta Schweblin, Argentinien und Zukiswa Wanner, Südafrika. Die Aufgabe hat uns gemeinsam Spaß gemacht, und unser jahrelanges Interesse an Weltliteratur machte uns das vergleichsweise leicht. Das Festival-Wochenende, an dem wir uns mit dem Team leibhaftig in Frankfurt im Literaturhaus trafen, war ein Fest des endlich einmal wieder mit lebendigen Menschen Zusammenseins und Zusammenarbeitens, ein Fest des Austauschs – heiter und inspirierend. Natürlich hatten wir unser Augenmerk verstärkt auf Autorinnen gelegt, wie sich am Programm ablesen lässt.
Zoë Beck macht Frauen in all ihren Funktionen als Künstlerinnen, als Aktivistinnen, als Autorinnen sichtbar. Sie unterstützt und fördert besonders auch junge Frauen, wie ich häufig beobachten konnte. Sie hat den Mut, als Feministin, als Aktivistin, unbequem zu sein. Sie nutzt ihre Prominenz für die Sache der Frauen und für gesellschaftliches Engagement generell, sie unterstützt Minderheiten, kämpft gegen Homophobie und Fremdenfeindlichkeit, gegen Rassismus und Rechtsradikalismus. »Wer dem Hass mit Hass begegnet, hat sich schon verformen lassen, hat sich schon jenem angenähert, von dem die Hassenden wollen, dass man es sei. Dem Hass begegnen lässt sich nur durch das, was dem Hassenden abgeht: genaues Beobachten, nicht nachlassendes Differenzieren und Selbstzweifel«, schreibt Carolin Emcke, die von Zoë sehr geschätzte Autorin, in ihrem Buch Gegen den Hass. Und so, wie sie das hier beschreibt, geht Zoë als Kämpferin vor: mit genauer Beobachtung, viel Nachdenken, Rationalität, Verbindlichkeit und Anstand. Und mit Herz.
»I need some1« heißt es in einem Lieblingssong Zoës von der englischen Band The Prodigy. Aus dieser einen Zeile besteht der ganze Text, der immer wieder wild und wütend herausgeschleudert wird von Sänger Maxim. Man kann es gar nicht oft genug sagen: Ja, wir alle brauchen jemanden. Als KollegIn, als MitstreiterIn, als AktivistIn, als FreundIn, als BücherFrau. Als Einzelpersonen und auch als Gesellschaft. So jemanden wie Zoë Beck eben. Herzlichen Glückwunsch liebe Zoë zur so verdienten Ehrung »BücherFrau des Jahres 2022«.