BücherFrauen-Literaturpreis: Dankesrede von Slata Roschal

Ich war mir sicher, dass ich diesen Preis nicht bekomme.

Mein Buch, dachte ich, ist nichts, was man als feministisch bezeichnet – zwar ist die Erzählerin ein Mädchen, eine Frau, und überlegt, wie sie es bleiben kann, ohne dabei verrückt zu werden oder in einem Nichtsein zu verschwinden, aber sie ist keine Heldin, wie man sie gern hat, sie hat ein Problem mit anderen Frauen, mit ihrer Mutter, sie freut sich darüber, einen Sohn, keine Tochter geboren zu haben, und wenn ihr jemand nicht gefällt, denkt sie – [S]ie ist dick, doof und hässlich […],egoistisch, selbstsüchtig, arrogant, lebt nur für sich, aber trotzdem bin ich besser als sie. Sie ist zu unkorrekt, dachte ich, zu verbissen, gelegentlich zu depressiv, außerdem ein kleiner Verlag, der inzwischen pleite ist, das Buch gerade kaum erhältlich usw.

Also war ich wirklich überrascht und habe mich furchtbar gefreut, weil das Buch offenbar auch ohne eine stets wütende, kampfbereite Heldin oder ein leidendes, aufbegehrendes Opfer des Patriarchats etwas Sinnvolles darüber sagt, was es bedeuten kann, eine Frau zu sein.

Wie unangenehm dürfen weibliche Figuren denn überhaupt sein, ohne schlechte Verhaltensweisen aus reinem Prinzip übernehmen zu müssen, was können sie sich leisten? Wie radikal darf Literatur sein, auch in Hinblick auf unser letztes großes Tabu, die Mutterschaft? Und können wir uns Figuren leisten, die über Probleme weiblicher Kollektive sprechen, die sich fremd fühlen darin und irgendwo dazugehören, die auch – Menschen sind? Und wie soll man so etwas wie eine Frau für sich gestalten, also eine, die nicht automatisch zum sozialen Wesen erklärt wird mithilfe von Kindern und Nachbarn, Kollegen, die sie zu beschwichtigen versucht – eine Frau, die für keine Soft Skills, das Miteinander, die Atmosphäre und frischen Kaffee und sortierte Post und abgetippte Texte fremder Autorschaft sorgt – und wie kann eine Stadt der Frauen funktionieren, wenn schon kleinste offline-Bündnisse in meiner Umgebung scheitern, wenn auch Frauen Frauen entmündigen und Social-Media-Bewegungen analytisches Denken ersetzen, es reicht nicht aus, das gleiche Geschlecht zu haben, um miteinander gut auszukommen. [N]icht im Körper und im Geschlecht ist die Überlegenheit oder die Niedrigkeit von Menschen begründet, schreibt Christine de Pizan, Bediene dich deines Verstandes! – wie aktuell ist wieder dieser Aufruf sechs Jahrhunderte später, wenn opferwillige Mütter wieder angesagt sind, mit Familienbetten, Biogärten, jederzeit zur Verfügung stehenden Körpern, wenn selbsternannte Experten zu allen Lebenslagen aus dem Boden schießen.

Ich weiß noch, wie eine Dozentin in ihrer Germanistikvorlesung sagte, dass Witwen und Nonnen die freien Frauen gewesen sind, sie hatten Geld, Zeit und Möglichkeiten, über beides zu verfügen. Ich buche Bahntickets der ersten Klasse und beobachte die Leute, meist Männer in Hemden, notiere mir die kleinen Unterschiede, ich habe es schon gelernt, Besten Dank zu sagen und Mit herzlichen Grüßen zu schreiben (vor ein paar Jahren noch schrieb ich Professoren Guten Tag, bis mir jemand sagte, dass es so nicht geht), und ich zwinge mich, allein zu reisen, durch die Städte zu gehen, durch Restaurants (kennen Sie das, wenn Sie ganz normal aussehen und reden, aber angeschaut werden wie ein Außerirdischer, weil Sie eine Frau sind), und die Welt wird groß und ich nicht der beste, aber doch ein Teil davon.

Manchmal denke ich mir, ganz vorsichtig und rein hypothetisch, so einen Satz, Ich bin eigentlich gern eine Frau, aber ich habe ihn bisher nie ausgesprochen, da fehlt noch etwas, ein Vorzimmer mit Marmortisch / Und Dalmatinerfell und jungem Sekretär / Herrlich weiße Gardinen eine Sammlung /

geschliffener Säbel an der Wand. Und das Gefühl, über Bücher und, möglichweise, ein wenig auch über Bücher hinaus einen Wert zu haben, an den man selbst glauben kann, da ist noch Luft nach oben.

(Ich mache jetzt das Umgekehrte von dem, was ich normalerweise mache, also spreche von mir und nicht von Texten, irgendwie geht es nicht anders.) In der vorvorletzten Wohnung, in Greifswald, wollte mich ein Fotograf als Autorin zeigen, am Schreibtisch, mit Büchern und nachdenklichen Posen und Gänsefedern, das scheiterte daran, dass ich gar keinen Schreibtisch hatte. In der letzten Wohnung bei München kam ein Team der Süddeutschen, um mich, wiederum, an einem Schreibtisch aufzunehmen, dabei hatte ich gerade alles aufgeräumt, staubgesaugt, und der einzige, leere Tisch stand in der Küche. Das Team sah sich um, wollte authentische Manuskripte, einen Bürostuhl zumindest, und es gab nichts außer Kissen, Geschirr, Wasserfiltern und Plakaten an den Wänden, schließlich nahm ich einen Kugelschreiber und versuchte von der Küche aus tiefsinnig zu schauen, eigentlich war es kein Problem, aber jetzt, in der Wohnung in München, wo ich ein eigenes Zimmer habe, ein kleines, zugemülltes, weiterhin nicht fotogenes, aber eigenes Zimmer, das nach Sandelholz riecht, will ich darauf nicht mehr verzichten. Ich glaube, die Vermieter dachten, dass wir bald ein zweites Kind bekämen und dafür vier Zimmer bräuchten – als ich sagte, Das wird dann mein Zimmer, schauten sie verwundert auf.

Gerade kann ich mir kein kleines Kind mehr erlauben, keine Katze, keine Krankschreibung, aber ich erlaube es mir, mit Vorständen und Kulturreferaten und Jurys zu diskutieren (zB. was Honorare oder lange Residenzen ohne Kind angeht, die modernen Klöster), immer öfter das zu tun und zu sagen, was ich für richtig halte, mich ab und zu wohlzufühlen (auch wenn es den Richtlinien eines Stipendiums nicht entspricht).

Schau mal, schrieb ich einer Freundin, So eine Statuette soll ich bekommen. Christine, das ist Alex, Alex, das ist Christine. – Die Augen sind geschlossen, schrieb die Freundin zurück, Sie steht wie eine Kerze, hat etwas Weibliches, Biegsames. – Frauen passen sich halt leichter an, sagte ich, Wenn sie auswandern und von vorne beginnen müssen. Aber wie kann sie sich das Weiche erlauben, auf weichen Frauen reiten doch ihre Kinder und Eltern und Ehemänner herum, vielleicht ist es ein Moment, in dem sie kurz die Kontrolle aufgibt. – Und dann begannen wir zu diskutieren und ich sagte, Wir müssen immer auf der Hut sein, immer gewappnet, und sie sagte, Leute merken einfach, was du ihnen erlaubst und was nicht.

Ich fühle mich gut in einer Stadt (unbedingt einer großen Stadt), die mich vernetzt, mit Menschen, die mir gefallen, in der ich auch anonym bleiben kann, und es müssen auch nicht lauter Frauen sein, das gar nicht, es gäbe sicherlich weniger Strafdelikte, Kneipen und Gefängnisse, aber es bräuchte unbedingt die Möglichkeiten der Wahl – jede muss machen können, was sie will (ob tugendhaftoder nicht), sich kleiden, wie sie will, ihre Kinder dann aus der Kita abholen, wann es ihr eben passt, ohne dafür von Männern zurechtgewiesen oder von anderen Frauen verachtet zu werden. Wir vergessen oft, dass Frauen verschieden sind, reden oft von demFeminismus, gleichzeitig ist die Rede von pluralen Männlichkeiten, vielseitig, immer in Kombination mit anderen Faktoren. So ein Preis, von Frauen für Frauen, kann alles Mögliche werden, denn es gibt nun mal völlig verschiedene Auffassungen von Literatur, verschiedene Texte und – völlig verschiedene Frauen. Ich freue mich über diesen Preis, weil er mir sagt, dass es nicht nur eindeutige, glatte Texte mit moralischer Zielsetzung und erhobenem Zeigefinger sind, die sowas wie – das klingt jetzt etwas kitschig – Solidarität unter Frauen schaffen. Und da ich mittlerweile dachte, mich aus diesem Bereich wieder selbst ausgeschlossen zu haben (ich fühle mich bei den meisten „feministischen“ Lesungen unwohl, bei der letzten habe ich mich mit allen zerstritten, und schreibe lieber Gedichte als Boykottaufrufe), freut es mich umso mehr.

Am Montag rief ich bei einer Jüdischen Gemeinde an, der mein Großvater angehörte, und eine völlig unbekannte Frau am Hörer sagte, Gratuliere dir zum Preis, wie schön, dass solche Mädchen wie du solche Preise bekommen! Meinen Sie den BücherFrauen-Preis, fragte ich, und sie, Jaja, wir haben davon gelesen, und ich saß da und freute mich, das Mädchensein klang auf einmal ganz ungewohnt, vergnügt und leicht.

Im nächsten Buch setze ich eine Frau in ein kleines Hotelzimmer in Berlin – eigentlich hat sie alles, genug Geld von ihrem Mann, gesunde Kinder, ein eigenes Haus, und trotzdem geht es ihr nicht gut. Es findet fast keine Handlung statt, sie fährt nicht nach Indien, um sich selbst zu finden, freundet sich mit niemandem an, lässt sich nicht scheiden, verkündet auch kein neues Geschlecht, rasiert sich nicht die Haare ab, und trotzdem findet etwas statt, eine mentale Umkehr, eine zarte Einsicht, Dinge, die nur sprachlich abgefangen werden können, für die es Literatur braucht.

Im Januar sind die Formen des Nichtseins wieder gedruckt, im Februar erscheint ein Buch bei Ullstein, dann hoffentlich ein Lyrikband, es geht weiter, und irgendwann, auf irgendeiner Bühne, will ich ein Glas hinstellen, mich strecken und ganz beiläufig, entspannt sagen –  Ach, wissen Sie, eigentlich bin ich ganz gern eine Frau.

Vielen Dank für den BücherFrauen-Preis!