Was geschieht, wenn vier Branchenprofis sich erlauben, auf dem Podium „laut zu denken“, ihre Ambivalenzen offenzulegen und eigene Sichtweisen umzukehren?
VdÜ, VFLL und BücherFrauen hatten sich zusammengetan, um am Buchmessedonnerstag im Internationalen Übersetzungszentrum für die Sichtbarkeit aller an einer Buchproduktion Beteiligten einzutreten – gemäß den Kampagnen „Lektor:innen ins Impressum“ und „Translators on the Cover“.
Autorin Zoë Beck, Übersetzerin Patricia Klobusiczky, Lektorin Katharina Gerhardt und Verleger Jo Lendle gelang unter der Moderation von BücherFrau Dania Schüürmann ein wirklich fruchtbarer Austausch. Hilfreich war dabei sicherlich, dass alle vier in verschiedenen Rollen in der Branche unterwegs sind oder waren – und eigene Perspektivwechsel möglich machten.
Zum Einstieg verwies Dania Schüürmann auf das „Buchorchester" der BücherFrauen, eine Ausstellung, die die zumeist unsichtbaren und zahlreichen an einer Buchproduktion beteiligten Menschen sichtbar macht – ein Ausschnitt davon, die Tafeln zu den Berufen Übersetzerin (im Buchorchester bespielt von Ulrike Schimming), Lektorin (vertreten durch Susanne Zeyse und Ursula Tanneberger) und Verlegerin (Zoë Beck), wurde im Raum gezeigt.
Die Moderatorin stellte die provokante Frage, ob man nun befürchten müsse, dass alle aufs Cover wollen.
Zoë Beck, prämierte Autorin und Verlegerin von CulturBooks sowie BücherFrau des Jahres, forderte, dass für alle am Buchprozess Beteiligten Sichtbarkeit die Norm sein sollte. Als Autorin sei sie anfänglich sehr unglücklich gewesen, dass ihre Lektorin nicht genannt wurde. Sie sei nicht sicher, ob eine Danksagung der richtige Platz dafür sei, und unlektorierte Bücher seien eine Qual. Sie berichtete allerdings auch davon, dass sie sich als junge Verlegerin, die noch alles selbst machte, übersetzte und lektorierte, scheute, sich selbst zu nennen – erst recht auf dem Cover. Als Übersetzerin freue sie sich jedoch über die Nennung auf der U1, mindestens aber auf der Rückseite des Buches, der U4.
Die renommierte Literaturübersetzerin Patricia Klobusiczky kennt diese Scheu junger Verleger:innen, wehrte sich auf dem Podium aber vehement dagegen, die Übersetzer:innen auf den Buchrücken abzuschieben: Dies sei ein enormer Rückschritt. Viele namhafte Verlage würden die Übersetzer:innen bereits auf dem Cover nennen – etwa Mare, Dörlemann, Berenberg – und auch der AvivA Verlag von BücherFrau Britta Jürgs gehöre zu den Pionier:innen. Klobusiczky fragte, wenn Illustrator:innen und Herausgeber:innen auf der U1 genannt würden – warum nicht die Übersetzer:innen, die Wort für Wort ein neues Werk schaffen?
Die freie Lektorin und VFLL-Gründungsmitglied Katharina Gerhardt berichtete von ihrer Beobachtung, je bekannter ein Verlag und seine Autor:innen seien, desto seltener werde der Lektor oder die Lektorin im Impressum aufgeführt. Bei manchen Verlagen komme die Aufspaltung des Berufsbildes Lektorat in Projektmanager:innen im Verlag und freie Textarbeiter:innen erst jetzt langsam an; dass die inhaltliche Arbeit immer mehr outgesourced wird, werde aber (noch) nicht gezeigt. Und es handele sich doch nur um eine einzige Zeile im Impressum! Umso verwunderlicher, als dort inzwischen immer häufiger auch die Literaturagenturen genannt würden.
An Hanser-Verleger Jo Lendle ging die Frage, ob die Verlage durch mehr freie Mitarbeitende stärker unter Druck kämen, Transparenz herzustellen.. Er verwies auf den bisweilen noch vorherrschenden „Geniekult“ und erklärte, dass die Verlage voll und ganz auf den Autor oder die Autorin als Marke setzen – das größte Gut, das sie haben. Es sei sicherlich gut, sich zu fragen, was die Normalitäten in der Branche sind und wie man es anders machen könnte: „Die Ideen kommen beim Reden.“
Allerdings source der Hanser Verlag (fast) keine Lektorate aus, außer bei erforderlicher besonderer fachlicher Expertise oder sprachlichen Besonderheiten, und er habe noch nie Anfragen von Freien bekommen, die genannt werden wollten. Lendle forderte aber ausdrücklich dazu auf, dies zu tun. Wer als Außenlektor:in für Hanser arbeite und genannt werden möchte – da habe er kein Problem damit. Für angestellte Verlagslektor:innen halte er die Nennung im Impressum nicht für notwendig, „den Ego-Booster brauchen wir nicht“.
Von der Positionierung der Übersetzer:innen auf dem Cover hält Lendle hingegen nichts. Er führe die Diskussion schon lange, aber der juristische Ort der Urheber:innen sei der Haupttitel, nicht das Cover. Er sei sehr dafür, Übersetzende mit biografischen Angaben auf der Umschlagklappe zu nennen – die U1 jedoch sei ein Marketinginstrument. Dort solle so wenig Text wie möglich untergebracht werden.
Patricia Klobusiczky meinte, literarische Übersetzer:innen würden nicht weniger leisten, wenn sie nicht auf der U1 stünden. Erfahrungsgemäß fänden sie jedoch in Rezensionen eher Erwähnung – über eine Floskel hinaus –, wenn sie auch auf dem Cover präsent sind. Die Chancen wären dann größer, dass Rezensierende die Kunstfertigkeit der Übersetzung verstehen und würdigen. Und es gebe auch in Deutschland eine Leser:innenschaft, die sehr wohl wisse, dass es einen Unterschied macht, wer einen Text in die andere Sprache übertragen hat. Jo Lendle ergänzte, dass im Iran z. B. der Übersetzende sogar wichtiger sei als der Autor oder die Autorin.
Aus dem Publikum heraus wurde noch einmal der „Geniekult“ zur Sprache gebracht. Nach den Erfahrungen der VFLL-Mitglieder gehe dieser Geniegedanke nicht von den Autor:innen aus: „Die Genies wollen gar nicht allein Genies sein“, so Julia Hanauer aus der AG Impressum des Verbands. Dies zeigten auch die Zitate prominenter Autor:innen wie Sebastian Fitzek, Kirsten Boie oder Iny Lorenz – zurzeit auf der Webseite und den Social-Media-Kanälen des VFLL zu sehen –, die entschieden für die Nennung ihrer Lektor:innen plädierten.
Jo Lendle brachte dies auf die Idee, dass es möglicherweise sinnvoll sei, die Standards umzudrehen: Statt dass die freien Lektor:innen sich melden sollten, wäre es eine Branchenaufgabe, deren Nennung im Impressum als Standard vorzusehen – und dann ggf. ein Opt-out zu ermöglichen. Er versprach, diese Idee im Verlegerausschuss einzubringen.
Das große Publikum zeigt, wie hoch das Interesse am Thema „Sichtbarkeit“ ist. Der VdÜ berichtete, dass mit ca. 150 Personen diese Veranstaltung auf der neuen Bühne des Verbands die stärkste Zuhörerschaft in den ersten beiden Messetagen angezogen habe. Jo Lendles Äußerungen auf dem Podium zum Thema Impressum bestätigen, dass Impulse von außen Verlage zum Umdenken bewegen können. Und für die BücherFrauen – mit Zoë Beck, Katharina Gerhardt und Dania Schüürmann gut vertreten auf dem Podium – war die Veranstaltung ein wunderbarer Ausblick ins kommende Jahresthema: Unter dem Motto „Die im Dunklen sieht man nicht“ wird 2023 die (Un)sichtbarkeit der Übersetzenden beleuchtet. Nicht nur die Übersetzungslektor:innen werden gern ihren Teil dazu beitragen. Dank also an die Organisatorinnen, die mit dieser Veranstaltung schon vorab die Strahlkraft des Themas gezeigt haben.
Weiterführende Links zum Thema Impressum:
- Beitrag im Börsenblatt zu Messe-Diskussion
- … und in der Zeitschrift „Übersetzen“ des VdÜ
- VFLL-Handreichung „Lektor:innen gehören ins Impressum"
- VFLL-Blogbeitrag „Raus aus der Unsichtbarkeit"
Veronika Licher, Dipl.-Inform., arbeitet in vielfältiger Weise mit Menschen und mit Büchern, liebt nahe und ferne Länder und bringt als Redakteurin, Lektorin und CoachN&P gerne das eine mit dem anderen zusammen. Sie begleitet neben deutsch-chinesischen Projekten und Übersetzungslektoraten Buchproduktionen vor allem im Bereich Psychotherapie. Als Coach ist es neben dem China-Schwerpunkt ihr Anliegen, Menschen mit vielfältigen Begabungen zu helfen, interdisziplinär und kreativ ihre Träume zu realisieren.