Anita Obendrauf: Sonntagsgeschirr, hin und wieder (Roman)
In ihrem Erstlingsroman thematisiert Anita Obendrauf eine Erfahrung, die sie mit vielen Frauen teilt: ein Kind vor der Geburt zu verlieren. In der frühen Phase der Schwangerschaft kommt das öfter vor, als man gemeinhin annimmt – weil niemand darüber spricht. Fehlgeburten sind ein Tabu, an das nicht gerührt wird, einerseits aus Angst, bei der betroffenen Frau den Schmerz zu aktualisieren, andererseits aus einer weit verbreiteten Hilflosigkeit, über den Tod, über Verlust und die damit einhergehenden Gefühle zu sprechen.
Zu Beginn des Romans kehrt die Hauptfigur Angelina in die Stadt zurück, in der sie aufgewachsen ist. Im Ort ihrer Kindheit hat sich vieles verändert; Halt findet sie auch dort nicht. Über den erlittenen Verlust zu reden fällt ihr schwer, selbst gegenüber ihrer eigenen Familie und engen Freundinnen. Auf der Suche nach einem Weg, mit dem Tod ihres Kindes fertigzuwerden, stellt sie alles infrage, was bisher feste Werte in ihrem Leben waren: ihre Partnerschaft mit Maurice, ihre Berufstätigkeit als Übersetzerin, ihren Wohnort, selbst ihr Hobby, das ihr bisher immer Distanz und Linderung vermittelt hat.
Doch die fortschreitende Handlung lässt auch Positivem Raum. Das Sonntagsgeschirr aus dem Buchtitel holt Angelinas Vater aus dem Schrank, als sie ihn besucht, und zeigt ihr damit seine Wertschätzung. Und aus der zufälligen Begegnung mit Lukas wächst in der zweiten Hälfte des Romans zart der Trost eines neuen Anfangs. Diese Geschichte von Verlust und Suche, von Loslassen und Entdecken, von Aufbruch und Ankommen erzählt die Autorin in einer ungekünstelten Sprache, die genau hinschaut, sei es bei der Beschreibung von Örtlichkeiten, sei es bei der Annäherung an Emotionen wie den Verlustschmerz, den sie als einen „Fluss nie dagewesener Möglichkeiten“ charakterisiert.
Anita Obendrauf: Sonntagsgeschirr, hin und wieder
Orte Verlag, Schwellbrunn 2021
gebunden, 264 Seiten
ISBN 978-3-85830-285-4, 34,– Euro
https://www.verlagshaus-schwellbrunn.ch/shop/sonntagsgeschirr-hin-und-wieder.html
Eine Empfehlung von Karin Steinbach Tarnutzer
Karin Steinbach Tarnutzer lebt als freie Journalistin, Autorin und Lektorin in St. Gallen/Schweiz. Ihre historische Aufarbeitung des Frauenbergsteigens (mit Caroline Fink) erschien im Tyrolia Verlag unter dem Titel Erste am Seil – Pionierinnen in Fels und Eis
Transparenzhinweis: Die Empfehlung erfolgt aus Eigeninteresse und nicht aus wirtschaftlichen Gründen.