Wo du nicht bist, wo du nicht bist, kann ich nicht sein …“ Dieses Lied aus der Operette „Land des Lächelns“ begleitet Irma über viele Jahre hinweg und ist eine Art roter Faden im Buch. Berlin, 30er Jahre, die aus bettelarmen Verhältnissen stammende Verkäuferin lernt den erfolgreichen Arzt Erich Bragenheim kennen. Sie kann es lange nicht fassen, aber er ist in sie verliebt und will sie heiraten. Es könnte nun ein kitschiges Happy-End geben, aber es sind nun mal die 30er Jahre und Erich ist Jude. Als der Tenor Richard Tauber in Berlin von SS-Leuten zusammengeschlagen wird, glaubt Erich an einen Einzelfall. Die Lage, so sagt er zu Irma, werde sich schon wieder „normalisieren“ – und dann ist es plötzlich zu spät. Als Irma und Erich zum festgesetzten Trauungstermin auf dem Standesarmt erscheinen, heißt es, „geht nicht“, jetzt gelten die Nürnberger „Rassengesetze.“ Es ist von Anfang an klar, dass Erich Haft und KZ nicht überlebt; die Handlung spielt sich auf zwei Zeitebenen ab. Zum einen eben zu Beginn der Beziehung, die beiden sind frisch verliebt und voller Zukunftspläne, bis dann die Katastrophe passiert. Zum anderen 1945, als Irma in einem elenden Kellerloch in Berlin haust, sich von Näharbeiten und schwarzgebranntem Fusel ernährt und wild entschlossen ist, Erich trotz allem zu heiraten. Einen Toten heiraten, das geht doch nicht, wird ihr immer wieder gesagt. Aber mit „geht doch nicht“ lässt sich Irma nicht abspeisen und beweist: Es geht doch. Die Geschichte beruht auf einer wahren Gegebenheit, wie die Autorin Anke Gebert im faktenreichen Nachwort erzählt. Ein ungeheuer faszinierendes Buch voller Zeit- und Lokalkolorit, und ein Einblick in ein düsteres Kapitel deutscher Justizgeschichte.
Anke Gebert: Wo du nicht bist
Pendragon Verlag, 2020
Gebunden mit Schutzumschlag, 295 S., 24,-- €