Bertha von Suttner: Marthas Kinder (Roman)
Bertha von Suttners 1889 erschienenes Buch „Die Waffen nieder“ wurde ein internationaler Bestseller und gilt noch heute als eine Art Bibel des Pazifismus. Den Titel kennen ungefähr alle, gelesen hat es kaum jemand, und so ist es für viele eine Überraschung, dass dieses Werk keine scharfsinnige Analyse der damaligen Lage ist, sondern ein Roman, mit viel Liebe und Irrungen. 1902 veröffentlichte Bertha von Suttner einen weiteren Roman, „Marthas Kinder“, der an die Ereignisse in „Die Waffen nieder“ anschließt, aber zwanzig Jahre später spielt. Die Handlung setzt 1892 ein. Martha ist die Hauptperson, die am Ende des ersten Buches unter dramatischen Umständen ihren geliebten Gatten verliert. Sie arbeitet weiterhin für die Sache des Friedens, nimmt aber auch Teil am Leben ihrer Kinder. Rudolf, ihr Sohn aus erster Ehe, hat eine schöne, lebhafte Frau geheiratet, die aber keinerlei Interesse für seine Ideale und seine Bestrebungen hat. Vorerst ist er durchaus zufrieden als junger Ehemann und Vater, aber Mutter Martha hat ihre Zweifel, ob das so bleiben kann. Rudolf will in die Fußstapfen seines verehrten Stiefvaters treten und in die Politik gehen, um dort für den Frieden zu arbeiten – nur, wer wählt schon einen erklärten Pazifisten? Marthas Tochter Sylvia verlobt sich mit einem jungen hübschen Grafen, aber wir, geübte Romanleserinnen, wissen gleich, dass ihr Herz eigentlich einem jungen Dichter gehört, der nur leider nicht standesgemäß ist. Martha, die Frau Baronin, hat trotz aller Friedensideale ihren Standesdünkel nämlich durchaus noch nicht überwunden. Es folgen Irrungen, Wirrungen, Missverständnisse, sogar ein Duell. Romanlektüre vom Feinsten also. Aber wir sind bei der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Bertha von Suttner, und so lässt sie uns teilhaben an den Kontroversen innerhalb der damaligen Friedensbewegung, an den (erschreckend aktuellen) Tagesfragen wie dem immer stärker werdenden Antisemitismus, und daran, wie Martha, konfrontiert mit Doppelmoral und Rechtlosigkeit der Frauen, erkennt, dass noch andere Bewegungen Unterstützung verdient haben. Das alles ist ungeheuer spannend, unterhaltsam und informativ zugleich, und oft auch witzig, denn Bertha von Suttner verfügte über eine feine Ironie, durch die ihr Sätze gelingen wie dieser: „Er fühlte sich gestört wie jemand, den man beim Geldzählen unterbrochen hat". Der perfekte Schmöker für die Feiertage, und das ideale Geschenk, am besten zusammen mit einer Flasche Wein (wovon im Buch nicht wenige konsumiert werden).
Bertha von Suttner: Marthas Kinder
Hirnkost Verlag, Berlin, 2024
Hardcover, 341 Seiten
ISBN 978-3-98857-051-2
Preis 32 Euro
Eine Empfehlung von Gabriele Haefs
Dr. Gabriele Haefs arbeitet als freie Übersetzerin, u. a. aus dem Irischen, und Autorin. Ihr Buch "111 Orte in Oslo, die man gesehen haben muss“ erschien im Mai 2022 im Emons Verlag. Diesen Buchtipp schrieb sie mit Blick auf ein kleines Originalgemälde von Edith Somerville, das vor Jahren auf abenteuerliche Weise in ihren Besitz gelangt ist.
Foto: Miguel Ferraz
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