Gespannt wartete ich auf die neue Biographie über die berühmte Atomphysikerin Lise Meitner von Wissenschaftsjournalistin Tanja Traxler und ihrem Kollegen David Rennert. Schon nach den ersten Seiten war ich in den Bann geschlagen – wunderbar formuliert, detailreich, aber nur da, wo es Sinn macht, und so weitgehend recherchiert, dass die Leserin das gute Gefühl haben darf, wirklich umfassend informiert zu werden.
Es ist schmerzlich, noch einmal den ersten und zweiten Weltkrieg verfolgen zu müssen, wenn auch nur im näheren biographischen und wissenschaftshistorischen Bezug und es ist noch schmerzlicher, noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, wie zweischneidig das Leben so vieler führender Naturwissenschaftler verlief. Es ist aber auch erhellend zu sehen, welch weiten Weg Meitner selbst von der Nationalpatriotin, über den Einsatz als Röntgenschwester im ersten Weltkrieg bis hin zur Emigrantin im Jahr 1938 ging und wie sie konsequent die Nutzung ihrer Entdeckung, der Kernspaltung, zu militärischen Zwecken ablehnte. Wiederholt hatten die USA versucht, sie für die Entwicklung der Atombombe zu gewinnen. Ihre Ablehnung erscheint uns heute viel selbstverständlicher als es damals – im Angesicht der vermeintlichen Bedrohung durch ein nationalsozialistisches Atombomben-Programm - war.
„Stockholmer Intrigen“
Rennert und Traxler stand für ihre Recherchen umfangreiches, bisher nicht gesichtetes Archivmaterial zur Verfügung und sie profitierten davon, dass sie auch auf die Unterlagen des Nobelpreiskomitees zugreifen konnten, die einer 50jährigen Sperrfrist unterliegen. Die Frage, warum Lise Meitner, trotz 48 Nominierungen namhaftester Physiker und Chemiker den Nobelpreis nicht erhielt, entpuppt sich – neben den beiden Faktoren, dass sie durch die erzwungene Emigration vorübergehend in die wissenschaftliche Isolation geriet und dem Nachteil eine Frau gewesen zu sein – als machtpolitisches Ränke-Spiel. Nicht umsonst steht dieses Kapitel unter der Überschrift „Stockholmer Intrigen“. Das liest sich spannend, so tragisch es auch ist.
Lise Meitners hervorragendste Eigenschaft war allerdings die Zähigkeit, mit der sie ihren Weg in der Physik verfolgte – in glanzvolleren wie elenderen Tagen. Manchmal schadet es dem Nachruhm auch nicht, keinen Nobelpreis bekommen zu haben. Ich verdanke dem Buch ein noch vollständigeres Bild dieser Forscherin, die ihr Leben allumfassend der Wissenschaft widmete. Und ich verdanke dem Buch das beruhigende Gefühl, dass Traxler und Renner die eine oder andere Lücke im Diskurs schließen konnten. Lise Meitner wollte zwar nicht, dass es eine Biographie über sie gibt – diese macht ihr aber alle Ehre.
David Rennert / Tanja Traxler, Lise Meitner. Pionierin des Atomzeitalters
Residenz Verlag, Salzburg – Wien, 2018
Hardcover, mit zahlreichen Abbildungen, 224 Seiten
ISBN: 9783701734603