Reli Alfandari Pardo: Leben, um zu überleben (Roman)

Ein Foto aus dem Jahr 1939, das die junge Reli Alfandari Pardo mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Belgrad zeigt, ist eins ihrer wenigen Erinnerungsstücke. Wir wissen kaum etwas von der Verfolgung und Ermordung der serbischen Jüdinnen und Juden. Der ursprünglich auf Französisch verfasste Bericht des jungen Mädchens, das die Besatzung Belgrads durch die Deutschen und die Deportation und Ermordung überlebt hat, kann das ändern. Sie fühlten sich als Jugoslawen, doch nach der Kapitulation im April 1941 ändert sich alles. Auf einmal gehören sie nicht mehr dazu, und Martin, der Hausangestellte, der immer ein enger Vertrauter war, trägt auf einmal als sogenannter Volksdeutscher die schwarze Uniform. 15.000 Jüdinnen und Juden in Serbien, erfahren wir im Nachwort vom Magdalena Saiger, fielen dem Völkermord zum Opfer – das waren 90 Prozent der Bevölkerung. Relis Vater und ihr Bruder werden zunächst zur Zwangsarbeit verpflichtet und kommen dann in das Lager, das sich keineswegs irgendwo außerhalb befindet, sondern mitten in der Stadt. Reli selbst wird von ihrem christlichen Onkel, der mit der Schwester ihrer Mutter verheiratet ist, organisiert und bezahlt wird – versteckt. Sie bekommt einen anderen Namen und einen passenden (nicht-jüdischen) biografischen Hintergrund eingeschärft, lebt lange in einer winzigen Kammer und hungert ebenso wie diejenigen, die sie gegen Bezahlung verstecken, während es ihren christlich getauften Cousins vergleichsweise gut geht. Allein die Schilderung dieser Zeit ist bewegend und packend. Und während Reli immer auf das Wiedersehen mit ihrer Familie wartet, hoffen wir ebenfalls auf den Moment der Befreiung. Doch es gibt kein Happy End. Das Wiedersehen mit der ehemals besten Freundin ist ernüchternd und alle sind erstaunt darüber, dass Reli überhaupt noch lebt. Dass sie die einzige Überlebende ihrer Familie ist, will sie nicht wahrhaben, doch wir LeserInnen ahnen es schon lange. Unglaublich ist auch die Geschichte des Buches selbst. Erstmals wurde es nämlich von SchülerInnen der Deutschen Schule Belgrad aus dem Serbischen und Englischen ins Deutsche übersetzt und in einer sehr kleinen Auflage gedruckt, die wiederum Anstoß gab für dieses Buch. Und ich kann die Lektüre dieses Buch nur empfehlen, das mich in seinen Bann gezogen hat.

Reli Alfandari Pardo: Leben, um zu überleben.
Aus dem Französischen von Nicola Denis. Herausgegeben von Brigitte von Kann, mit einem Nachwort von Magdalena Saiger.
Arco Verlag, Wuppertal 2018
gebunden, 288 Seiten
ISBN 978-3-938375-89-1; € 24,00
 

Eine Empfehlung von Britta Jürgs.

Britta Jürgs ist Verlegerin des 1997 von ihr gegründeten AvivA Verlags.

Transparenzhinweis: Die Autorin empfiehlt das Buch aus Eigeninteresse und nicht aus wirtschaftlichen Gründen.