Sarah Raich: Hell und laut (Roman)
Wer gern historische Romane liest, wird mit dieser Lektüre reich beschenkt. Sarah Raich zeichnet ein lebensnahes Bild von einer Epoche, die über tausend Jahre zurückliegt. Sie spinnt eine Geschichte um die Figur der Hrotsvit, die zur ersten (bekannten) deutschen Dichterin wird. Dabei folgt sie dem Weg der begabten Tochter eines Grafen, die ihre Liebe zu Büchern entdeckt. Mithilfe verschiedener Mentorinnen findet Hrotsvit – gegen alle Widerstände – zu ihrer Bestimmung: das »Singen in der Welt« festzuhalten, Texte zu formen, die neu sind, wie »ein Blitz in der dunklen Nacht«.
Dieses Motiv, die Suche nach dem richtigen Wort, dem richtigen Rhythmus, steht schon am Anfang des Romans und durchzieht ihn in immer neuen Variationen. Ähnlich wie die feinen Naturbeschreibungen. Wo die äußeren Verhältnisse eng und eintönig sind, etwa im Klosteralltag, werden Landschaften und das Innenleben der Figuren lebendig geschildert, aus wechselnden Perspektiven. Es entsteht eine vielschichtige Erfahrungswelt, in die der zeitgeschichtliche Hintergrund mit einfließt.
Lesenswert ist auch das Nachwort von Magda Brinkmann. Sie berichtet von ihrer Schulzeit in Nürnberg, wo Hrotsvits um 950 entstandene Werke 1501 erstmals gedruckt wurden. Im Literaturkanon ihres humanistischen Gymnasiums tauchte der Name der Dichterin allerdings nie auf. Die Buchhändlerin und Literaturvermittlerin wendet sich gegen die »Marginalisierung weiblicher Autorinnen« und umreißt das große, weitgehend verschüttete literarische Erbe von Schriftstellerinnen.
Wie gut, dass Sarah Raichs Buch die »kraftvolle Stimme von Gandersheim«, so Hrotsvits Eigenbezeichnung, zum Klingen bringt – hell und laut.
Sarah Raich, Hell und laut
S. Marix Verlag, Marburg, 2020
Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 432 Seiten
ISBN 978-3-7374-1217-9
Preis 24 Euro
Eine Empfehlung von Marion Voigt
Marion Voigt M. A., hat mittelalterliche Geschichte im Drittfach studiert; sie ist freie Lektorin und Autorin. www.folio-lektorat.de Zuletzt erschienen: »Verheißung und Dekadenz. Baden-Baden und die russische Literatur im 19. Jahrhundert«
Foto: © Simone Kessler
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