Victoria Mas: Die Tanzenden (Historischer Roman)
Paris im 19. Jahrhundert, die bürgerliche Gesellschaft ist das Maß aller Dinge, der Sittenkodex ist streng und Abweichungen werden nicht geduldet. Besonders Frauen haben nicht das Recht, eigenen Entscheidungen zu treffen. Eigenheiten und auch die eigenen Meinung werden als hysterische Krankheit diagnostiziert und es erfolgt die Einweisung in das berüchtigte Krankenhaus Salpêtrière. Dort findet einmal im Jahr ein Ball statt, der dazu dienen soll, die Patienten der guten Gesellschaft zu präsentieren und ihre Heilungsfortschritte zu zeigen. So bizarr das auch klingt, die Salpêtrière und ihr berühmter „Bal des folles“, der Ball der Verrückten, sind keine Fiktion. Heute ist die Salpêtrière ein Teil der Universitätsklinik Paris und hat mit diesem düsteren Kapitel nichts mehr zu tun.
Victoria Mas erzählt in ihrem Roman die Schicksale einzelner Insassinnen. Die Lebensgeschichten sind fiktiv, aber an reale Fälle angelehnt. Zum Beispiel Louise, die an Epilepsie leidet und von den Eltern in die Salpêtrière gebracht wurde. Oder Thérèse, eine ehemalige Prostituierte, die dort eine Zuflucht gefunden hat. Oder Eugénie, die sich ihrem Vater entgegenstellt und so eine Patientin der Salpêtrière wird.
Mas erzählt unaufgeregt und mit einer sehr leichten und äthetischen Sprache von den Ängsten und Sehnsüchten der Mädchen und ihrem Alltag. Sie erlaubt sich bei Eugénie auch einen Schlenker in die Phantastik, der aber zum Stil des Romans passt und sich in die Geschichte einfügt.
Trotz des düsteren Themas ein Lesegenuss und ein Blick auf eine in der Not entstandenen, ganz eigenen Insel der Freiheit für Frauen im 19. Jahrhundert.
Victoria Mas: Die Tanzenden
aus dem Französischen übersetzt von Julia Schoch
Piper Verlag, 2020
ISBN: 978-3-492-07014-0 , 20,00 €
Eine Empfehlung von Sandra Thoms
Sandra Thoms ist Geschäftsführerin in der Verlags-WG (www.verlags-wg.de) und Verlegerin der Verlage Dryas (www.dryas.de), edition krimi (www.edition-krimi.de) und Plan9 (www.plan9-verlag.de).
Transparenzhinweis: Die Empfehlung erfolgt aus Eigeninteresse und nicht aus wirtschaftlichen Gründen.