Ananda Serné: Nachtblüher (Roman)
Irgendwann in unangenehm naher Zukunft … Eliza, die Ich-Erzählerin, kommt aus den Niederlanden, ist dann aber zu ihrem Freund Andreas ins norwegische Stavanger gezogen. Und dort arbeitet sie im renommierten Institut für Schlafforschung, wo alle versuchen, der grassierenden Schaflosigkeit auf den Grund zu kommen. Eigentlich ist die Antwort einfach: alle sind überfordert, finden keine Ruhe, und wenn sie noch so müde sind. Doch was ist sinnvoller: Die Leute zum Schlafen zu bringen oder ihnen das Schlafen richtig abzugewöhnen, also dafür zu sorgen, dass sie auch mit vier Stunden Schlaf funktionieren, statt zu unproduktiven Nervenbündeln zu werden. Darüber wird also in Elizas Institut geforscht. Dann macht Andreas Schluss. Eliza weiß nicht weiter, also reist sie erst einmal nach Taiwan, wo ihr Bruder arbeitet, und der sucht ihr gleich einen neuen Freund. Aber irgendwann beschließt Eliza, dass sie aufhören muss, andere über sich entscheiden zu lassen. Sie kehrt zurück nach Norwegen und gibt die Wissenschaft auf. Von nun an wird sie als Schlafwächterin arbeiten. Das sind Leute, die schlaflosen Menschen auflauern und sie in Schlafkliniken schaffen, wo sie unter wissenschaftlicher Anleitung das Schlafen neu lernen sollen, um dann geheilt in den gesellschaftlichen Funktionsprozess zurückzukehren. Das klingt arg dystopisch, aber Eliza findet für sich eine ganz andere Lösung, bei der die titelgebenden Nachtblüher eine wichtige Rolle spielen. Der niederländischen Autorin Ananda Serné ist nämlich ein sehr witziger Roman gelungen, in dem sie sich auch gekonnt über Menschen wie Eliza lustigmacht, die irgendwo leben, aber für ihre Umgebung blind sind. Ob Eliza nun Stavanger mit immerhin über 130 000 Einwohnern als „kleine Stadt“ bezeichnet, ob sie auch nach zwei Jahren in Norwegen noch nicht begriffen hat, dass die strengen norwegischen Alkoholgesetze den Verkauf von Alkohol in Supermärkten strengstens untersagen, ob sie bei ihren Beschreibungen von Stavanger und Taipeh keinerlei Lokalkolorit vermittelt, irgendwie liegt sie mit ihren Einschätzungen dauernd so daneben, dass es die Lektüre ungeheuer aufhellt – und wie gesagt: Die Beschreibung der Gesellschaft zeigt uns eine unangenehm nahe Zukunft, aber Elizas Werdegang macht Hoffnung und sorgt für allerlei beglückende Kicheraugenblicke.
Ananda Serné: Nachtblüher
aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann
Weissbooks, Berlin
Hardcover, 218 Seiten
ISBN: 978-3-86337-212-5
Preis 24 Euro
Eine Empfehlung von Gabriele Haefs
Dr. Gabriele Haefs arbeitet als freie Übersetzerin, u. a. aus dem Irischen, und Autorin. Ihr Buch "111 Orte in Oslo, die man gesehen haben muss“ erschien im Mai 2022 im Emons Verlag. Diesen Buchtipp schrieb sie mit Blick auf ein kleines Originalgemälde von Edith Somerville, das vor Jahren auf abenteuerliche Weise in ihren Besitz gelangt ist.
Foto: Miguel Ferraz
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