Und wieder ist Equal Pay Day, wieder berichten unzählige Veranstaltungen und Veröffentlichungen von der Lohnungerechtigkeit. Doch wann wird sich daran endlich etwas substanziell in der Breite geändert haben?
Währenddessen kursieren die wenig hilfreichen Ratschläge, Frauen müssten nur einfach besser verhandeln; müssten sich andere, besser bezahlte Branchen aussuchen; oder aber mehr Männer müssten in ‚Frauenberufen‘ arbeiten, damit dort die Löhne stiegen. Solche Ratschläge, insbesondere der letzte, sind für mich ein Teil des Problems. Denn sie legen die Last auf das Individuum und vernachlässigen die strukturellen Aspekte.
Im Vergleich zur Generation meiner Eltern hat sich schon einiges getan – weil sich viele Aktivist*innen dafür eingesetzt und lange und unter großen Anstrengungen gekämpft haben. Die Ungleichbehandlung aufgrund von Geschlecht (und manchmal auch Kategorien wie race, Alter, Religion, geschlechtliche Identität, sexuelle Präferenzen, Gesundheit) – je nachdem, ob es ein durchsetzungsfähiges Antidiskriminierungsgesetz gibt – wurde schwieriger gemacht. Doch noch immer gibt es zu viele Fälle, in denen (weiße) Männer mehr Lohn erhalten als alle anderen. Das bedeutet nicht, dass wir resignieren und den Kampf für Equal Pay aufgeben sollten, ganz im Gegenteil. Lieber würde ich gemeinsam überlegen, wie wir an die Strukturen rankommen, die für diese Ungleichbehandlung, diese Ungerechtigkeit verantwortlich sind. Was könnten wir dafür konkret tun? Und damit an die Arbeit, die schon seit Jahren geleistet wird, anknüpfen, sie ergänzen und weiterführen.
Anknüpfen möchte ich hier auch an die Arbeit von mehrfach marginalisierten Kulturschaffenden, Intellektuellen und Wissenschaftler*innen, wie beispielsweise Audre Lorde (1934–1992), Kimberlé Crenshaw (*1959), Hadija Haruna-Oelker (*1980) und Emilia Roig (*1983), die wiederholt seit Langem darauf aufmerksam machen, dass viele Bestrebungen (nicht nur, aber auch für Geschlechtergerechtigkeit außer Acht lassen, dass innerhalb der Gruppen große Unterschiede bestehen und Mehrfachdiskriminierungen, z. B. aufgrund von Geschlecht, race, Alter, Sexualität, Religion, Gesundheit etc. teils dramatische Konsequenzen haben. Diese werden bei vielen Erhebungen aber nicht miterfasst. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellt hier einen Bedarf an mehr Forschung fest (Link zu „Migration Paygap“ Beitrag der Antidiskriminierungsstelle).
In den USA und im Vereinigten Königreich (UK) werden Erhebungen zum Gender Pay Gap noch weiter ausdifferenziert: Die Ergebnisse zeigen zum Beispiel, dass Schwarze Frauen in den USA weniger verdienen als weiße und als „Asian“ gelesene Frauen, und dass die Unterschiede in gut bezahlten Jobs größer sind als im Niedriglohnsektor.
Hier die Zahlen von 2022: Schwarze Frauen verdienten 70 Cent für jeden Dollar, den ein weißer Mann verdient. Im Vergleich dazu: Frauen allgemein verdienten im Durchschnitt 82 Cent, weiße Frauen 83 Cent, „Asian Women“ 93 Cent und „Hispanic Women“ 65 Cent (Zahlen aus den USA von 2022 vom Pew Institut: Link). Die offizielle Behörde für Statistik im UK, das Office for National Statistics, liefert umfassende Zahlen zu verschiedenen Betrachtungen des Pay Gap, und sogar die Datensets für die eigene Forschung (Link zu „Ethnicity pay gaps, UK, 2012 to 2022“ und Link zu Gender Pay Gap Daten 2023). Das hat für mich Vorbildcharakter.
Bei der Ermittlung von Zahlen zu Equal Pay sowie der Erarbeitung von geschlechtergerechten Maßnahmen muss der Blick für die Heterogenität innerhalb der betrachteten Gruppen geschärft und die rein binäre Perspektive überdacht bzw. erweitert werden.
Auch für ein feministisches Netzwerk wie die BücherFrauen reicht der ausschließliche Fokus auf die Kategorie Geschlecht nicht aus, um diskriminierende Strukturen in der Buchbranche zu erfassen und wirksam zu bekämpfen. Das geht meiner Meinung nach nur, wenn wir alle Menschen in ihrer Vielfalt wahrnehmen und uns solidarisch mit allen zusammenschließen, die marginalisiert werden und unter patriarchalen Strukturen leiden.
Ran an die Strukturen
Es geht übrigens nicht nur um die Ungleichbehandlung innerhalb eines Unternehmens oder einer Branche, sondern auch darum, dass es ganze Branchen gibt, in denen die Arbeit wesentlich schlechter als in anderen bezahlt wird: zum Beispiel in der Pflege, der Sozialen Arbeit, der Grundschule oder auch im Bibliothekswesen. In diesen schlechter bezahlten Branchen geht es oft um Sorge für andere Menschen. Sie gilt als „weiblich konnotiert“. Die Bezahlung erfolgt oft über Staat (also Steuermittel) oder Krankenkassen (also auch unsere Beiträge) – somit müssten wir dort eigentlich mehr Einfluss nehmen können.
Warum wird Arbeit so unterschiedlich entlohnt? Und muss das so bleiben? Muss es nicht. Der Deutsche Frauenrat zeigt auf, wie es anders ginge und fordert unter anderem dazu auf, für Steuergerechtigkeit zu sorgen: „Dafür müssen das Ehegattensplitting abgeschafft und die Lohn- und Einkommensteuer konsequent am Maßstab der Steuergerechtigkeit ausgerichtet werden. Steuerpflichtige sollen nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Die Privilegierung von Kapitaleinkünften muss beendet und die Abgeltungsteuer abgeschafft werden. Die ausgesetzte Vermögensteuer muss verfassungskonform wieder erhoben, Erbschaften und Schenkungen gerecht besteuert und die Finanztransaktionsteuer unverzüglich wieder eingeführt werden.“ (Deutscher Frauenrat (2023): Link zum gesamten Text) Und damit ist es nicht genug, ‚die Wirtschaft‘ muss aus einer ganz anderen, vollständigeren Perspektive betrachtet werden. Und so fordert der Frauenrat auch den „Wirtschaftsbegriff zu erweitern und neben der Erwerbsökonomie auch die Versorgungsökonomie zu erfassen“ (Link zum Text des Deutschen Frauenrats).
Die Buchbranche
Ich bin Teil des feministischen Netzwerks BücherFrauen. Verlage, Buchhandlungen, Agenturen, Bibliotheken und zahlreiche freie Dienstleistungen sind Teil unserer Branche. Was können wir konkret dort feststellen? Traurigerweise bleibt das derzeit buchstäblich im Dunkeln.
Denn Teil des Unequal-Pay-Problems ist die große Intransparenz. Gespräche und Vergleiche innerhalb der eigenen Netzwerke bieten Hinweise, aber es fehlen breit erfasste Daten.
Das wäre ein Punkt, an dem wir ansetzen können: Mehr Transparenz! Und zwar bereits in den Ausschreibungen, wie Stellen vergütet sind, beispielsweise in Form einer Gehaltsspanne. Auf welcher Basis kann sonst verhandelt werden? Woher sollen die Menschen kommen und sich bewerben, die nicht längst Teil der Branche, Teil eines ganz bestimmten akademischen Milieus sind, wenn die Verdienstaussichten völlig unklar sind? Und in unserer Branche, in der viele freiberufliche Dienstleister*innen arbeiten und beauftragt werden, wäre auch mehr Transparenz über das Budget bei der Vergabe von Aufträgen hilfreich.
Erfreulicherweise gibt es bereits Verbände, die zumindest innerhalb ihrer Spezialgebiete für mehr Klarheit sorgen. Dazu gehören u. a. der Verband der freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL) und der Verband deutschsprachiger Übersetzer*innen literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ). Sie sprechen über Honorarkalkulationen, Mindesthonorare und Tarife. So versuchen sie, dem Preisverfall in der Branche etwas entgegenzusetzen. Und auch bei den BücherFrauen habe ich schon viel Austausch zum Thema Geld und Honorare miterlebt.
In anderen Ländern ist die Situation der ungleichen Bezahlung in der Buchbranche übrigens ähnlich – und dort wird anders damit umgegangen. Als ich 2019 bis 2020 zu Forschungszwecken in der Buchbranche in im UK war, zeigten sich alle Unternehmen bemüht, Zugangsbarrieren abzubauen, für mehr Gerechtigkeit und dadurch für ‚Diversität‘ zu sorgen. Gleichzeitig beschrieben viele der Angestellten Formen von Ungleichbehandlung (bei gleicher Leistung) oder Unsicherheiten bei der Berufswahl durch fehlende Informationen zu Verdienstmöglichkeiten. Als eine Reaktion darauf teilten viele Menschen (viele am Anfang ihrer Karriere) freiwillig in einem gemeinsamen Online-Dokument, wie viel sie verdienten und wo sie arbeiteten. Das hat breite Diskussionen angestoßen und dazu geführt, dass mehr Unternehmen in der Buchbranche Gehaltsspannen bereits in der Ausschreibung angeben und sich insgesamt bemühen, Anforderungen und Aufgaben transparenter zu machen.
In Deutschland wird bei Vorschlägen zur Lohntransparenz und grundsätzlich zur Datenerhebung gerne auf den Datenschutz verwiesen. Dabei gibt es Wege diesen zu berücksichtigen und gleichzeitig für mehr Transparenz zu sorgen. Im UK gibt es weniger Berührungsängste und die Teilnahme an den Auswertungen der Publishers Association und Booksellers Association sind beispielsweise freiwillig. Ebenso freiwillig ist die Teilnahme an der Lee & Low Diversity Baseline Erhebung in den USA, die Fragen zu den Identitäten der Beschäftigten in der Branche stellt. Die Akzeptanz dafür wurde erarbeitet und seit ihrer Einführung sind die Teilnehmendenzahlen an diesen Erhebungen kontinuierlich gestiegen.
Die jährliche Studie der Publishers Association im UK stellt beispielsweise umfangreiche Statistiken zur Verfügung, die Aufschluss über die Zusammensetzung der Branche geben, z. B. in den Kategorien Alter, Geschlecht, Bildung, class und race, sexuellen Identitäten und mental health. Die Booksellers Association hat inzwischen nachgezogen. Die Umfragen der Publishers Association sind etabliert, die Ergebnisse aussagekräftig und gehen zusätzlich zu den In-house-Erhebungen der Verlage in Planungs-, Auswertungs- und Steuerungsmaßnahmen ein.
Ich würde mir wünschen, dass die deutsche Buch- und Verlagsbranche etwas mehr Mut für Datenerhebungen und -veröffentlichungen hätte. Daten über (Un)Equal Pay und zur Zusammensetzung der Branche, um Zugangsbarrieren zu reflektieren und abzubauen. Denn Unequal Pay ist eingebettet in andere systematische Benachteiligungen. So wie es jetzt ist, fehlen oft genau diese Daten, um den Status Quo konkreter beschreiben zu können, Verbesserungsmaßnahmen zu entwickeln und dann zu überprüfen, ob diese auch wirken. Schließlich ist die Erhebung solcher Zahlen zunächst „nur“ ein Erkenntnisgewinn. Veränderungen müssen dann im nächsten Schritt folgen – und ansonsten erkämpft werden.
Wer, welche Institutionen könnte hier in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum, eine vergleichbare Datenbasis generieren?
Hier fallen zunächst wissenschaftliche Institutionen, wie Universitäten und Hochschulen ein, oder Branchenverbände mit einer breiten Mitgliederbasis, wie beispielsweise der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Ohne die Kombination aus dem politischen Willen und entsprechender Förderung wird das allerdings schwierig.
„Nachhaltige Entwicklung braucht Feminismus!“
Die BücherFrauen stellen dieses Jahr unter das Thema: „Unsere Branche neu denken: Nachhaltige Entwicklung braucht Feminismus!“
Dazu gehört auch die Forderung nach Equal Pay und Lohngerechtigkeit. Schlechter bezahlt zu werden als Männer in vergleichbaren Positionen ist nicht nur ungerecht, sondern führt auch langfristig zu schlechteren Bedingungen: Altersarmut, schlechterer Gesundheitsversorgung, mehr Stress. Prekäre Arbeitsbedingungen bedingen prekäre Lebensumstände, bestimmen, wofür überhaupt Zeit neben der Lohnarbeit noch bleibt – ob das nun Hobbies, Care Arbeit oder politisches Engagement ist.
Für eine nachhaltige, faire Buchbranche braucht es mehr Transparenz, mehr Lohn- sowie Honorargerechtigkeit. Gute und faire Arbeitsbedingungen sind sowohl im Interesse von Arbeitnehmenden und Freiberuflichen wie auch Verlagen, Medienunternehmen und Verbänden. Gemeinsam gestalten wir die Buchbranche und nur gemeinsam erreichen wir auch Equal Pay.
Autorinnen: Dr. Sandra van Lente, mit Unterstützung von Marianne Eppelt, die dazu beigetragen hat, dass aus einem Rant ein konstruktiver Text wurde.