Fachtagung „Klischeefrei“ der Initiative zur Berufs- und Studienwahl

Fachtagung Klischeefrei Gruppenfoto

v.l.n.r.: Annalena Baerbock (Bundesaußenministerin), Katharina Zweig (Professorin an der TU Kaiserslautern), Lisa Paus (Bundesgesellschaftsministerin), Emre Celik (Antidiskriminierungsexperte, Google), Miguel Diaz (Leiter Servicestelle Klischeefrei) und Anne Chebu (Moderatorin)

Fachtagung Klischeefrei, Meiken Endruweit

Meiken Endruweit auf der Fachtagung Klischeefrei

Tagungsbericht

Fachtagung „Klischeefrei“ der Initiative zur Berufs- und Studienwahl

Das Jahresthema 2024 beschäftigt sich mit der Nachhaltigkeit und allen ihren Facetten. Vorstands-BücherFrau Meiken Endruweit war bei der Fachtagung „Klischeefrei: Klischees, Berufe und Kulturen – was wir voneinander lernen können“ am 1. März 2024 im Auswärtigen Amt in Berlin.

Nach einer einleitenden Begrüßung durch Miguel Diaz (Leiter der Servicestelle der Initiative Klischeefrei) und Elke Büdenbender (Schirmherrin der Initiative Klischeefrei) eröffnete ein hochkarätig besetztes Podium die 5. Fachtagung „Klischeefrei“: Außenministerin Annalena Baerbock erörterte mit Lisa Paus (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), Katharina Zweig (Professorin für Informatik an der TU Kaiserslautern) und Emre Celik (Employee Relations Partner bei Google), dass sich die Vielfalt der Bevölkerung nicht in allen (Arbeits-)Bereichen widerspiegele. Die Fachtagung lade dazu ein, von der Wissenschaft und von der Wirtschaft zu lernen – ganz entsprechend dem diesjährigen Motto „was wir voneinander lernen können“.

„Wir müssen in diesen Krisenzeiten das Positive sehen“, so Baerbock. Positiv sei, dass es in den letzten Jahren deutliche Fortschritte zu mehr Diversität gegeben habe. Diversität sei für Unternehmen gerade in schwierigen Zeiten und im globalen Wettbewerb um Fachkräfte von Vorteil. Ganz konkret um Fragen zu Einstellungsprozessen ging es Celik, der dazu aufrief, nicht die Privilegien zu prüfen – welche Uni wurde besucht, wo wohnt jemand, welchen Namen trägt jemand, welches Geschlecht hat jemand –, sondern vielmehr Handlungskompetenzen – was hat jemand schon beruflich oder als Care-Arbeit gemacht, was hat jemand an Auslandserfahrungen, wo hat sich jemand schon ehrenamtlich eingebracht. So würden die Fähigkeiten einer Person erkannt und nicht ihre Herkunft, ihr Geschlecht oder andere Merkmale in die Bewertung und potenzielle Einstellung einfließen. Im Hinblick auf die KI z. B. bei der Auswahl von Bewerber*innen betonte Zweig, dass die KI zwar eine erste Orientierung geben und grobe Gruppen bilden könnte. Das weitere Verfahren sollte aber stark hinterfragt werden, auch auf der Basis sozialer Prozesse. Es sei wichtig, dass auch die Mechanismen der KI offengelegt und kritisch beleuchtet würden: Daten an sich sind nicht neutral und gerecht. Es wäre außerdem wichtig zu erörtern, was Gerechtigkeit ist. Um diesen Diskurs zu führen, hat sie maßgeblich den an der TU Kaiserslautern angesiedelten Studiengang Sozioinformatik gestaltet. Baerbock berichtete dann noch aus ihrem Ministerium, wo in ihrem engsten Kreis eine Frauenquote von nahezu 50 % erreicht sei. So würden zu Treffen selbst bei zufälliger Auswahl immer viele Frauen im Stab mitreisen, was sogar den Delegationen anderer Länder auffalle und kommentiert würde. Die Fachtagung biete den Raum, sich über viele unterschiedliche Best Practices im Netzwerk auszutauschen.

Es folgte die Keynote von Lena Hipp (Forschungsprofessorin für Arbeit, Familie und Soziale Ungleichheit am Wissenschaftszentrum Berlin, Professorin für Soziale Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Potsdam) zum Thema „Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich“. Sie machte noch einmal deutlich, dass Deutschland im EU-Vergleich und im Vergleich zu anderen Industrieländern bei der Gleichstellung von Männern und Frauen eher schlecht abschneide. Allerdings sei es auch wichtig zu sehen, dass es innerhalb der Gruppe der Frauen eine große Varianz gibt, so dass sich alle Zahlen immer auf einen Querschnitt beziehen. Allgemein wäre zu beobachten, dass, obwohl bspw. in Deutschland seit vielen Jahren mehr Frauen ein Hochschulstudium abschließen würden als Männer, der Gender Pay Gap mit 18 % ziemlich hoch sei. Dieser setzt sich im vergleichsweise ebenso hohen Pension Gap mit 32 % fort. Als Haupttreiber dieser Entwicklungen sieht Hipp die Berufswahl von Frauen und die Elternschaft. Deswegen sei es wichtig, Klischees und Stereotype abzubauen, so dass Frauen Berufe ergreifen, in denen auch höhere Löhne gezahlt würden, sowie Männer für Care-Arbeit mehr Zeit aufwenden wollen. Außerdem sei eine Umbewertung von bezahlter und unbezahlter Arbeit nötig, die Verbesserung der Betreuungsstrukturen wie auch die Abschaffung für Anreize von Haushaltsspezialisierung (Stichwort Ehegattensplitting).

Es gab im Anschluss eine Vielzahl an Vorträgen und Workshops zu Themen wie Männer in SAGE-Bereichen (Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung und Bildung), Anti-Feminismus und die Auswirkungen auf die Berufswahl, Vielfalt und Diversität sowie einen Vortrag zur Kampagne „For a green and gender-equal Europe“ (https://eige.europa.eu/newsroom/green-deal-and-gender-equality?language_content_entity=en).

In seiner Abschlusskeynote „Diskriminierungsfreiheit als Erfolgsrezept – Die diskriminierungsfreie Arbeitswelt von morgen gestalten“ ging Lorenz Narku Laing (Vielfaltsprojekte GmbH) auf sein Konzept der Diskriminierungsfreiheit ein. Dafür brauche es einen intersektionalen Konsens, denn die Zeit, Diskriminierungen getrennt voneinander zu betrachten, sei vorbei. Diskriminierungsfreiheit ist ein im Grundgesetz Artikel 3 verbrieftes Recht und es brauche auch nicht noch mehr Zahlen und Studien, um Diskriminierung sichtbar zu machen. Nun ginge es darum, den Prozess zu begleiten: Menschen, allen voran weiße Männer, verlören Privilegien, was zunächst Ängste auslöse. Damit eine Diskriminierungsfreiheit dennoch erfolgreich erreicht werden könnte bedürfe es 1. darzustellen, dass und wie es Business-relevant ist, Diversität auf allen Ebenen zu fördern. Dazu liegen hinreichend Studien vor. 2. Männer müssen eine sinnvolle Rolle in der neuen Ordnung haben. Eine zielführende Frage sei hier: Wie können Männer Frauen im Job und allgemein Diversität fördern? Denn die relevanten Positionen seien nach wie vor mit Männern besetzt und daher seien sie einer der Schlüssel für Veränderung.

Alles in allem war dies eine sehr ergiebige Konferenz, auf der einiges Bekanntes auftauchte, aber zusätzlich neue Perspektiven eröffnet wurden, neue Gefahren benannt und konkret analysiert wurden sowie viel Raum und Zeit für Networking blieb. Die über 600 Partnerorganisationen der Initiative Klischeefrei setzen sich für eine Berufs- und Studienwahl frei von einengenden Rollenbildern ein; darunter sind Stiftungen, Kitas & Schulen, Unternehmen, Hochschulen, Kammern und Behörden sowie unsere Netzwerk-Partnerinnen Deutscher Frauenrat und BPW.

Hinweis: Es gibt umfangreiche Videodokumentation, die hier abgerufen werden kann.

Text: Meiken Endruweit