Patrizia De Bernardo Stempel: Muttergöttinnen und ihre Votivformulare (Sachbuch)
Patrizia De Bernardo Stempel ist Italienerin, unterrichtet an einer spanischen Universität, schreibt auf Deutsch, forscht über keltische Sprachen – und aus ihren Forschungen ist das vorliegende Buch entstanden. Die immer in dreifacher Gestalt auftretenden Muttergöttinnen regen die feministische Phantasie seit langer Zeit an, finden wir hier letzte Auswirkungen eines uralten Matriarchats, später gekapert von der neuen Männerreligion und zum dreifaltigen christlichen Gott umfunktioniert? Hat sich die Verehrung der Muttergöttinnen heimlich bis in die Neuzeit gehalten, wofür Blumengaben an den noch vorhandenen Statuen sprechen? Solche Fragen lassen die Autorin nach eigener Aussage ziemlich kalt: Wir wissen es nicht und können es nicht wissen. Ihr Buch trägt zusammen, was wir wissen, und das ist erstaunlich viel. Alle jemals aufgefundenen Göttinnenstatuen dieser Art (in einem Gebiet, das ungefähr von Mittelspanien bis zum Niederrhein reicht) werden vorgestellt, mit Standort und Inschriften. Die Inschriften haben es in sich (manchmal Latein, vor allem aber frühe Stadien der keltischen Sprachen, Vorläufer des späteren Althochdeutsch und Reste von indigenen Sprachen, über die wir nichts wissen und die deshalb auch nicht übersetzt werden können). Wer hat die Statuen aufgestellt, wer hat dort die mächtigen Mütter verehrt? Das sind überraschend oft Männer, römische Legionäre, die aus allen Ecken des Imperiums kamen und in ihren eigenen Sprachen den Göttinnen in der ihnen von zu Hause bekannten Form huldigten. Viele Widmungen stammen von Frauen, die um Hilfe in allerlei Lebenslagen bitten, oft um Söhne (nie um Töchter!). Die Beinamen der Göttinnen haben vielfach mit Tieren zu tun: Mütter der Vögel, der Turteltauben, der Bienen. Oft werden sie als die Gebenden bezeichnet, oder als die Hüterinnen des Besitzes, des Wassers, der Bäume, einer fernen Heimat oder des Ortes, wo die Statuen aufgestellt wurden. Es ist ein sprachwissenschaftliches Werk, also benutzt die Autorin eine Menge Fachvokabular, was die Lektüre nicht immer leicht macht – aber es ist möglich, die Fachwörter einfach zu überfliegen, vielleicht ab und zu eins nachzuschlagen, und sich an der hier zusammengetragenen Menge an Informationen zu erfreuen. Die Phantasie kann weiter freien Lauf nehmen, nun aber mit wissenschaftlicher Untermauerung!
Patrizia De Bernardo Stempel:
Muttergöttinnen und ihre Votivformulare. Eine sprachwissenschaftliche Studie.Universitätsverlag
Winter GmbH Heidelberg, 2021
gebundene Ausgabe, 234 S., 38 Euro
Eine Empfehlung von Gabriele Haefs
Dr. Gabriele Haefs arbeitet als freie Übersetzerin und Autorin. Ihr Buch "111 Gründe, Wales zu lieben“ erschien im Mai 2019 im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf.
Foto: Miguel Ferraz
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