Verena Schmidt, Analena Schmidt: Zwei Sommer in den Rockies (Sachbuch)
Eine Mutter, die als Reiseführerin arbeitet, nimmt ihre 13-jährige Tochter mit zum Wandern in die Berge – das ist erstmal nicht besonders ungewöhnlich. Doch gleich zu Beginn lesen wir von einem Verlust und ahnen, die beiden verreisen nicht nur zusammen, weil es ein beschaulicher Familienurlaub werden soll. Sie haben durch einen Unfall ihren Partner und Vater verloren. Dennoch muss die Mutter die Kanada-Fahrt unternehmen, denn sie hat den Auftrag einen Wanderführer über die Rocky Mountains zu schreiben. So beginnt eine abenteuerliche Reise, auf der die beiden neben Muskelkatern und schweißtreibenden Aufstiegen auch von Schnee, Bergziegen und grandiosen Ausblicken berichten. Ja, beide berichten, denn das ist das Besondere am Buch: Mutter und Tochter wechseln sich beim Schreiben ab. Erzählen im Rückblick von ihren Wegen und Abwegen, vom Streiten und Versöhnen, vom Hand-in-Hand-Arbeiten und vom Aufgeben.
Der erste Sommer liest sich wie ein großer Versuch. Unerfahren und untrainiert stolpern wir mit den beiden Autorinnen durch die Weiten Kanadas und fiebern mit, ob es bald einen Bären zu sehen gibt oder ein Puma aus dem nächsten Gebüsch springt. Doch nicht nur die Fauna hat es Verena Schmidt angetan: Auch die Blumenwelt des Hochgebirges wird beschrieben und so liest sich das Buch wie ein Reiseführer der besten Sorte. Wir tauchen ein in die Landschaft mit ihren Bewohnern (Mücken! Karibus!), den Bergpanoramen und auch den Seen und Flüssen. Nicht immer wandern die beiden einsam durchs Backcountry, vor allem im zweiten Sommer, als die Mutter einige Wochen lang allein reist, trifft sie auf Weggefährten, berichtet über die Menschen, die in dieser Gegend zu Hause sind oder sie zumindest häufig besuchen. Zu den interessanten Anekdoten kommen ergänzend lesenswerte Hintergrundinformationen zu den Orten und lokalen Berühmtheiten.
Unter den Geschichten von Wanderungen, Land und Leuten läuft immer die zweite Ebene: die Geschichte von Mutter und Tochter, die sich über Wochen ganz und gar aufeinander einlassen, ohne die Möglichkeit, sich zurückzuziehen oder gar für ein paar Stunden etwas allein zu machen. Sie verbringen so viel Zeit miteinander wie nie zuvor in ihrem Leben, und es bleibt kaum Raum, sich aus dem Weg zu gehen. Beziehungsarbeit par excellence – und das noch unter den extremen Bedingungen herausfordernder Hochgebirgstouren in launischem Wetter. Verena beschreibt es treffend: „Doch wir wollten sukzessive wachsen, unsere Ängste und Befürchtungen durch die sanfte Erweiterung unserer Komfortzone meistern.“
Dieser Prozess beschreibt auch die dritte Ebene des Buches, die selten deutlich benannt wird: Die Reise ist auch eine Reise in ein neues Leben ohne den Vater und Ehemann, der zuvor der Ankerpunkt dieser Familie war. Die Mutter setzt sich mit ihrer neuen Rolle auseinander, allein für ihre minderjährige Tochter zu sorgen, was auch bedeutet, dass die Arbeit als Reiseführerin vielleicht nicht mehr möglich sein wird. Die Tochter erlebt die Mutter als Vorbild, aber auch als Sparringpartnerin, die viel Erfahrung hat und sie immer wieder zu Höchstleistungen bringt mit einem: „Lass uns schauen, was es hinter der nächsten Kurve noch gibt.“ Aber sie erfährt auch Situationen, in denen ihre Mutter schwach ist, nicht mehr weiterkann, mit den Tränen kämpft und den Verlust ihres geliebten Menschen verarbeiten muss.
Ehrlich gesagt, selbst beim Lesen der einzelnen Touren, der atem(be)raubenden Aufstiege, endlosen Regen-und-Schnee-Fälle und der rutschenden, kniekillenden Abstiege treibt es einem schon den Schweiß auf die Stirn. Die „abendliche kleine Runde“ nach einem Wandertag der beiden wäre für so manch eine Leserin ein tagfüllendes Abenteuer, Muskelkater inklusive. Wer nach all dem noch nicht genug hat vom Reisen auf dem Sofa, für die gibt es am Ende noch weiterführende Literatur oder den von Verena geschriebenen Wanderführer, mit dem die Wege durch die Rockies selbst erforscht, begangen und – um die Bären abzuhalten – singend begangen werden können.
Verena Schmidt & Analena Schmidt: Zwei Sommer in den Rockies. Eine Mutter und ihre Tochter erkunden Kanadas Wildnis
Malik Verlag, 2024
Klappenbroschur, 256 Seiten
ISBN 978-3-89029-589-3
Preis 18 Euro
Eine Empfehlung von Meiken Endruweit
Meiken Endruweit arbeitet als Design Thinking Coach (hpi) zum Thema Diversität in Organisationen und bietet Workshops zu Kreativität, kollaborativem Arbeiten in Teams und Führung an.
Foto: privat
Transparenzhinweis: Die Empfehlung erfolgt aus Eigeninteresse und nicht aus wirtschaftlichen Gründen.