____Mehr als 70 Zuschauerinnen und Zuschauer waren auf Einladung der Bücherfrauen Frankfurt in die Stadtbibliothek gekommen, um in der Reihe „Frankfurt liest ein Buch“ die Schriftstellerin Ursula Krechel zu erleben. Die Autorin, die vor zehn Jahren für ihren Roman „Landgericht“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, war diesmal nicht vor Ort, um über ihr eigenes Werk zu berichten.
Vielmehr blickte sie zurück zu ihren eigenen Anfängen, als sie als Studentin ein Promotionsthema aus dem Berlin der 1920er Jahre suchte und 1973 auf einen Aufsatz über Irmgard Keun und in der Folge in den Antiquariaten auf viele Ausgaben von Werken von Frauen aus dieser Zeit stieß, „mit der Besorgnis, es könnte alles vergessen und verloren sein“.
Dem wirkte sie entgegen, schrieb seitdem mehrere Essays über Keun und brachte Rundfunkredakteure dazu, ihre Texte ins Programm aufzunehmen. Mehr noch, sie machte die im Verborgenen in Köln lebende mittlerweile verstummte Schriftstellerin ausfindig und interviewte sie 1977.
Die Passagen, die Ursula Krechel in der Stadtbibliothek Frankfurt aus diesem Interview las, gehörten zu den beeindruckendsten Momenten des Abends, wie an der andächtigen Stille im Auditorium zu spüren war. Ihr Humor sei oft bittere Satire, sagt sie über ihr Werk. Und, dass sie viele Trivialromane habe lesen müssen, um ihre eigenen Romane schreiben zu können.
Die Elemente des Kleinbürgertums im Faschismus
Im Gespräch mit der Frankfurter Bücherfrau und ehemaligen Litprom-Chefin Anita Djafari zeichnet die „Keun-Expertin“ Krechel das Bild einer Schriftstellerin, die die Machtergreifung der Nationalsozialisten bis 1936 aus eigenem Erleben meisterhaft in einer pseudonaiven Sicht schildert, die in ihren vielschichtigen Texten unzählige Anspielungen verpackt und hellsichtig die Elemente des Kleinbürgertums im Faschismus beschreibt, die aber in der zunächst männlichen Rezeption als Humoristin abgewertet wurde. Heute zählt Irmgard Keun glücklicherweise zu den Klassikern der Literatur, auch dank Ursula Krechel.
Text: Sabine Börchers (Fotos: Hartmuth Schröder)
________
IN VOLLER LÄNGE: Das Video zur Veranstaltung (via YouTube)
________
Frankfurt liest ein Buch 2022: „Nach Mitternacht“ von Irmgard Keun; mehr über das Lesefest, über Themen und Termine unter www.frankfurt-liest-ein-buch.de