»Ich bin keine Heldin«, sagt Mariel, die Hauptfigur in diesem Roman, der ein politischer ist, auch wenn Cover und Titel das nicht vermuten lassen. Dabei kommt die Geschichte zunächst ganz leichtfüßig daher: Schauplatz ist ein Inselreich inmitten von Palmen und einem sanft rauschenden Meer, wo alle Menschen im Alter von achtzehn Jahren – am Tag der Verbindung – ihre*n perfekte*n Liebespartner*in zugeteilt bekommen: einen Menschen, der sie auf optimale Weise ergänzt, der sie für alle Zeit liebt, den sie selbst auf ewig begehren. Nur was, wenn am Tag der Verbindung alle anderen ihre »Spiegelseele« treffen, nur für dich kommt keiner? Genau das passiert Mariel. Sie bleibt übrig. Ab diesem Moment ist sie ein Mensch zweiter Klasse, eine Sonderbare, die aus dem Inselreich verbannt wird.
»Die Muschelsammlerin« ist doppelbödig: einerseits spannender Pageturner, andererseits hält der Roman so einiges an geschickt verwobener Kritik bereit. Kritik an einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder über deren Beziehungsstatus definiert, die Menschen ohne Liebesbeziehung als weniger wert einstuft; und die Frage, ob und aus wessen Sicht Menschen, die an der Oberfläche keine gesellschaftlich relevante Funktion erfüllen, sozial und räumlich ausgeschlossen werden dürfen. Mit Mariel haben wir eine Heldin (und, oh ja, sie ist eine!), die rebelliert. Die Welt, in der sie das tut, erinnert an Bilder von M.C. Escher, voll perspektivischer Unmöglichkeiten, virtuos gezeichnet.
Charlotte Richter studierte Tiermedizin, Medizin, Psychologie und Germanistik. Unter ihrem eigentlichen Namen, Charlotte Richter-Peill, veröffentlicht sie Romane für Jugendliche und Erwachsene, u.a. bei Rowohlt und Goldmann. Sie erhielt diverse Literaturstipendien und dreimal den Förderpreis für Literatur der Stadt Hamburg. Sie lebt in Kattendorf, Schleswig-Holstein, und ist seit vielen Jahren Mitglied im Hamburger writers’ room, einer Arbeits- und Bürogemeinschaft für Schriftsteller*innen.
Charlotte Richter: Die Muschelsammlerin
Würzburg: Arena, 2019
Hardcover, 432 Seiten
ISBN: 978-3-401-60435-0, 18,00 Euro