Rose Macauley: Was nicht alles (Roman)

England, 1919, der Große Krieg ist zu Ende, wenn auch ein wenig anders als in Wirklichkeit. Kaiser Wilhelm, der deutsche Kronprinz, Lenin und Trotzki sind auf einer kleinen Insel im Pazifik im Exil, die Beziehungen zwischen Bayern und Preußen sind so schlecht wie lange nicht mehr, und der Verkehr in London wird nicht nur per U-Bahn, sondern auch per Aerobus zurückgelegt. In den Kriegsjahren war es leicht, immer neue Gesetze zu erlassen, welche die Bewegungsfreiheit und freie Entscheidung der Bevölkerung einschränken, warum, findet die Regierung, sollte man damit nicht weitermachen? Natürlich nur zum Besten aller. So werden die Menschen nach ihrer Intelligenz in Klassen eingeteilt, danach entscheidet sich dann, wer wen heiraten darf. Die Hochintelligenten, Klasse A, dürfen z.B. untereinander keine Beziehungen eingehen, das wäre Verschwendung der guten Gene. Auf diese Weise soll innerhalb weniger Generationen eine intelligente Bevölkerung herangezüchtet werden. Diese schön ausgedachten Reformen stoßen aber bei der Bevölkerung durchaus nicht auf Gegenliebe – und die Romanhandlung kommt richtig in Schwung, als sich der zuständige Minister in eine Sachbearbeiterin in seinem Haus verliebt. Er ist nämlich „deklassizifiert“ und darf überhaupt nicht heiraten. Eigentlich wäre er A, aber seine Eltern sind Vetter und Kusine ersten Grades, die Risiken für den Nachwuchs wären zu groß. Natürlich heiraten die beiden heimlich, aber kann das gutgehen? Der Roman der englischen Autorin Rose Macauley, erstmals 1919 erschienen, ist witzig, spannend und beängstigend zugleich. Angeblich hat er Aldous Huxley für sein „Schöne neue Welt“ als Vorbild gedient, und manches wirkt über hundert Jahre später wieder erschreckend aktuell.
Ein ausführliches Glossar hilft, sich in den 1919 allgemein bekannten Begriffen zurechtzufinden; kleine Kritik: Es hätte ruhig noch etwas ausführlicher sein können, z.B. erklären, dass die Strumafront kein Wortspiel ist, sondern tatsächlich existiert hat, oder warum der irische Freiheitskämpfer Roger Casement im Text „Robert“ heißt, Druckfehler oder Absicht? Was natürlich nichts daran ändert, dass der Roman ein wunderbares Leseerlebnis ist.
Rose Macauley: Was nicht alles
übersetzt von Josefine Haubold
AvivA Verlag, Berlin
Hardcover, 280 Seiten
ISBN: 978-3-949302-07 -7
Preis 22,00 Euro

Eine Empfehlung von Gabriele Haefs
Dr. Gabriele Haefs arbeitet als freie Übersetzerin, u. a. aus dem Irischen, und Autorin. Ihr Buch "111 Orte in Oslo, die man gesehen haben muss“ erschien im Mai 2022 im Emons Verlag. Diesen Buchtipp schrieb sie mit Blick auf ein kleines Originalgemälde von Edith Somerville, das vor Jahren auf abenteuerliche Weise in ihren Besitz gelangt ist.
Foto: Miguel Ferraz
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